Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Beth sich in ihren alten Spielkameraden verliebt hatte.
Rue Cambon 31 war die Adresse des Chanel-Salons.
»Wir sehen uns nur um«, warnte Lady Levington sie, als sie aus dem Taxi in die Morgensonne traten und ihnen beim Anblick der berühmten Boutique vor Entzücken der Atem stockte.
Lady Levington hatte ihnen schon erklärt, dass sie vorhatte, die Kleider, die sie für den Urlaub brauchten, bei kleinen, diskreten Schneiderinnen zu bestellen, die in schmalen Sträßchen versteckt lagen und sich vollkommen darauf verstanden, welche Garderobe für sehr junge Damen schicklich und comme il faut war: pastellfarbene Kleider aus kühlem Musselin, zurückhaltende Badeanzüge und neue Tenniskleider.
An den speziellen Geruch von Paris würde sie sich den Rest ihres Lebens erinnern, fand Amber, als sie auf dem Trottoir standen. Er war ganz anders als der Geruch von London, einzigartig und irgendwie rassig und gleichzeitig auch raffiniert und elegant, eine Mischung aus Parfüm, Brot, Kaffee und Zigaretten, verbunden durch etwas anderes, das Amber nicht identifizieren konnte, das jedoch, so viel wusste sie instinktiv, nirgendwo anders zu finden war als in Paris.
Französinnen, so schick, dass man sie nur ehrfürchtig bewundern konnte, führten in ihren schönen Kleidern kleine Hunde an juwelenbesetzten Leinen spazieren. Allein die Erfahrung, dass überall um sie herum Französisch gesprochen wurde, versetzte Amber einen aufgeregten Schauer. Dank der Comtesse hatten sich ihre Sprachkenntnisse dramatisch verbessert, und es bereitete ihr ein stilles Vergnügen, den Gesprächen rund um sie herum zuzuhören und zu erkennen, dass sie sie tatsächlich verstand.
Sie hätte vollkommen glücklich hier draußen vor Chanel stehen bleiben und das Treiben um sich herum beobachten können, doch sobald sie die Boutique betreten hatten, verblasste alles, was sie auf der Straße gesehen hatte, zur Bedeutungslosigkeit. Spiegelwände verwandelten den Salon in einen endlosen Raum voller unausgesprochener Möglichkeiten. Hier und da hing ein Kleid, als sei es nachlässig hängen geblieben, und fing doch den Blick auf und fesselte die Aufmerksamkeit. Amber hätte sie am liebsten alle genauer in Augenschein genommen.
Doch Lady Levington war nicht in der Stimmung, zu verweilen, sondern scheuchte sie eine Treppe hinauf, wo Verkäuferinnen herbeigerufen wurden, um sich um sie zu kümmern. Einige wenige gemurmelte Worte von Lady Levington, und eine von ihnen klatschte laut in die Hände, und nur Sekunden später wurde ihnen ein Kleid nach dem anderen vorgeführt.
Amber verlor ihr Herz augenblicklich an eine weit ausgestellte Strandpyjama-Hose aus türkisfarbener Seide, am Saum mit Muscheln bestickt. Die Hose wurde mit einem kurzen Gilet über einem dünnen Hemd getragen und von einem breitkrempigen Sonnenhut ergänzt.
Es gab Jachtkleider, Tenniskleider, sportliche Kleider jeglicher Couleur sowie wunderschöne elegante Abendkleider im für Chanel typischen Schwarz, für die die beiden Mädchen in Lady Levingtons Augen aber noch zu jung waren.
Amber konnte jedoch nicht anders, als sehnsüchtige Blicke daraufzuwerfen: schlichte fließende Jerseykleider mit gerieften, koketten Säumen, die so geschnitten waren, dass jede Frau darin das Gefühl haben musste, phantastisch auszusehen.
Schuhe für tagsüber mit niedrigen Absätzen und hübschen kleinen T-Riemchen vorn in Schwarz und Weiß standen paarweise auf dem Boden, als hätte sie gerade jemand abgestreift, während auf ihren eigenen erhöhten Podesten Abendschuhe aus schwarzem Glacéleder mit funkelnden Perlen und Diamanten thronten, dazu passende Unterarmtaschen, gerade groß genug für ein Taschentuch und einen Lippenstift.
Eine gesteppte Tasche eroberte Ambers Herz im Sturm. Sie konnte nicht widerstehen, über das wunderbar weiche Leder zu streichen, worauf eine Verkäuferin in schnellem, geschliffenem Französisch feststellte, dass es die perfekte Tasche für ein junges Mädchen sei, eine Tasche, an der sie gewiss ihr Leben lang Freude habe.
Lady Levington schüttelte den Kopf über den Preis, doch Amber brachte es nicht über sich, sie wegzustellen. Obwohl sie wusste, dass Lady Levington nicht damit einverstanden war, tat Amber am Ende das Erwachsenste, was sie je getan hatte, und verkündete, sie werde sich die Tasche von dem Geld kaufen, das ihre Großmutter ihr gegeben hatte.
Amber wollte auf keinen Fall, dass man die Tasche ins Hotel lieferte, denn sie konnte noch nicht recht glauben,
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