Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
alten Kerl ruhig einen schönen Lebensabend gönnen.«
Blanche hatte von Barrants barschem Befehl gehört, den Hund erschießen zu lassen, und auch von dem Umstand, dass Jay nicht nur den Tierarzt aus eigener Tasche bezahlt hatte, sondern auch das warme Schaffell, mit dem der neue Korb gepolstert war.
»Wenn wir vom Hund sprechen, stimme ich Ihnen zu; wenn allerdings von Ihrem Großvater die Rede war, würde ich der Schrotflinte den Vorzug geben«, meinte sie trocken. »Ab nächsten Monat erhöhe ich Ihren Lohn, Jay«, fuhr sie fort. »Nein, bedanken Sie sich nicht«, kam sie ihm zuvor. »Mein Vater hat an den alten Grundsatz geglaubt, dass ein guter Arbeiter seinen Lohn wert ist, und ich halte es genauso. Sie haben vielleicht mitbekommen, dass viele Fabriken in Macclesfield Leute entlassen?«
»Ja.«
»Ich habe, wie Sie sicher wissen, nicht viel übrig für Denby Mill und würde die Fabrik mit Freuden schließen. Allerdings fühle ich mich der Arbeiterschaft verpflichtet. Ich möchte, dass Sie morgen in die Fabrik gehen und dem Werksdirektor sagen, dass in Denby Mill niemand entlassen wird und dass die Löhne ein wenig angehoben werden.«
Jay war von dieser Anweisung nicht so überrascht, wie andere es vielleicht gewesen wären. Inzwischen kannte er seine Dienstherrin recht gut – oder zumindest so gut, wie sie es zuließ -, und er wusste, dass Wohltätigkeit für Blanche Pickford nicht nur bedeutete, in einem Komitee zu sitzen.
Es betrübte Jay, dass Amber nie Gelegenheit bekommen hatte, hinter die kalte Fassade zu blicken, die Blanche der Welt meist präsentierte. Manchmal fragte er sich, ob Blanche sich bei ihm vielleicht deswegen ein wenig entspannte, weil er sie als ihr Angestellter nicht kritisieren durfte, auch wenn er hoffte, es rührte eher von dem Bewusstsein, dass sie ihm vertrauen konnte, und weil sie seinen Wunsch respektierte, es aus eigener Kraft zu etwas zu bringen.
Er war davon ausgegangen, dass ihre Entscheidung, ihm die Stelle zu geben, mehr mit seiner Herkunft zu tun gehabt hatte als mit seinem Können, doch inzwischen hatte er ihr und seinem Großvater diskret zu verstehen gegeben, dass er mit ihrem Streit nichts zu tun hatte und sich von keinem von beiden einspannen lassen würde.
Barrant war sein Großvater, und Jay liebte ihn, aber das bedeutete nicht, dass er sich nicht über dessen Fehler im Klaren war. Blanche war seine Dienstherrin, aber trotzdem konnte er sie respektieren und bewundern und sich der Tatsache bewusst sein, dass sein Großvater ihr einmal sehr wehgetan haben musste.
Blanche hatte sich schon zum Gehen gewandt, doch plötzlich blieb sie noch einmal stehen, drehte sich um und sagte abrupt: »Sie heißen meine Pläne für meine Enkelin nicht gut, nicht wahr?«
»Sie ist sehr jung und idealistisch, und ich könnte mir vorstellen, dass die Aussicht auf eine Ehe, die auf Vernunftgründen basiert, für sie schrecklich ist«, erwiderte er so taktvoll wie möglich.
Blanche neigte zustimmend den Kopf. »Ich habe Ambers Wohl dabei genauso im Sinn wie mein eigenes«, meinte sie vorsichtig.
Amber hatte keine Ahnung, worum es im wirklichen Leben ging. Sie war eine Traumtänzerin, idealistisch und störrisch. Dabei konnte eine Frau so viel erreichen, wenn sie eine kluge Ehe einging, konnte so viel in der großen Welt bewirken, wenn ihr Ehemann über Macht und Einfluss verfügte und bereit war, beides mit ihr zu teilen. Blanche war es verwehrt geblieben, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, und sie wollte nicht, dass Amber einmal dasselbe passierte.
Sie wechselte das Thema. »Wie ich höre, wird Ihre Cousine Cassandra weiterhin in Fitton Hall wohnen.«
Jay erhob sich. »Ja.«
»Dann können wir uns letztendlich wohl auf eine erneute Hochzeit zwischen den Familien de Vries und Fitton Legh einstellen. Ihrem Großvater wird es gefallen, wenn sich die Geschichte wiederholt. Er hat ja selbst eine Fitton Legh geheiratet.«
Barrant de Vries ist ein Dummkopf, dass er seinen Enkel nicht mehr schätzt. Aber er hat ja nie die geschätzt, die er hätte schätzen sollen, dachte Blanche bitter, nachdem sie Jay verlassen hatte. Sie hätte ihm so viel geben können, aber er hatte sie abgewiesen. Ein solches Schicksal sollte Amber nicht erdulden müssen. Sie würde das Leben führen, das Blanche verwehrt geblieben war.
Große Hoffnungen setzte Blanche in dieser Hinsicht in den Sohn der Levingtons. Nach Lady Levingtons Einladung hatte Blanche diskrete Erkundigungen eingezogen.Wenn zwei junge
Weitere Kostenlose Bücher