Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Säulenvorbau: Strenge und Überfluss in einer Verbindung, die die Sinne weckte.
In der Halle war es nach der Hitze draußen angenehm kühl. Auf dem wie ein Schachbrett schwarz-weiß gefliesten Marmorboden hallten ihre Schritte und Stimmen wider.
In den Bogennischen in den mit Alabaster verkleideten Wänden standen schwarze Marmorstatuen. Eine schmiedeeiserne Treppe wand sich an den pseudomittelalterlichen Fenstern vorbei nach oben.
Die Zofe, die Amber und Beth sich teilten, kam herbeigeeilt, um sie nach oben in ihre Zimmer zu bringen, die im zweiten Stock der Villa nebeneinanderlagen und Ausblick auf eine breite Terrasse boten. Hinter der Terrasse lag ein Swimmingpool und dahinter kunstvoll im italienischen Stil angelegte Gärten, die sich bis ans Mittelmeer hinunter erstreckten. Von ihrem Fenster schaute Amber verstohlen nach dem kleinen Gästehaus, in dem laut Lord Levington der Künstler lebte, und war enttäuscht, dass sie es nicht sehen konnte.
Es war früher Abend, als Amber ihre Gastgeber wiedersah. Lady Levington hatte vorgeschlagen, dass sie den Nachmittag dazu nutzte, das Auspacken ihres Gepäcks zu beaufsichtigen, sich ein wenig auszuruhen und ihrer Großmutter zu schreiben, dass sie gut angekommen waren.
Da sie en famille speisten, hatte Lady Levington gesagt, es sei nicht notwendig, dass Beth und Amber Abendkleider trugen, und so hatten sie sich nach der langen Reise und der Hitze des Tages gewaschen und frische, schlichte Kleider angezogen. Amber hatte eines aus hellblauer Seide gewählt, bestickt mit Blumen aus kleinen Perlmuttperlen, an dessen Zipfelsaum dieselben kleinen Perlen genäht waren. Darüber trug sie ein passendes weißes Bolerojäckchen, das mit derselben hellblauen Seide gefüttert war. Eine hübsche perlenverzierte Haarspange hielt ihre Locken in Schach, die sie unbarmherzig hatte bürsten müssen, um sie nach der Fahrt in Henrys offenem Wagen wieder zu entwirren.
Beths Eltern und Henry waren bereits auf der Terrasse, tranken Martini und unterhielten sich, begleitet vom Zirpen der Grillen, als Amber durch die offene Terrassentür zu ihnen trat.
Lord Levington bot Amber an, ihr eine seiner Spezialitäten zu mixen, einen White Lady.
»Ich weiß nicht, ob man die Mädchen ermutigen sollte, Cocktails zu trinken«, protestierte Lady Levington.
»Ich mache ihn nicht so stark«, versicherte ihr der Graf und schenkte Amber ein freundliches Lächeln.
Sie trank zögernd und stellte erleichtert fest, dass er Wort gehalten hatte. Sie hatte rasch gelernt, dass einige eher skrupellose Gentlemen sich einen Spaß daraus machten, viel zu starke Drinks zu mischen. Mit einem Glas »Limonade« und dem Versprechen auf ein wenig frische Luft nach der Hitze des Ballsaals lockten sie ihr Opfer in einen dämmrigen Wintergarten oder einen dunklen Garten, wo das Mädchen bald feststellen musste, dass es nach dem Genuss der »Limonade« nicht mehr in der Lage war, sich zu wehren, denn ihr Getränk hatte etwas viel Stärkeres enthalten – normalerweise Gin -, und ihr Begleiter konnte ihren betrunkenen Zustand ausnutzen.
»Nimm nie einen Drink von jemandem an, wenn du nicht gesehen hast, wie er eingeschenkt wurde, es sei denn, du hast ihn dir von einem Tablett ausgesucht, das ein Kellner trägt«, rieten die erfahreneren Mädchen denen, die es noch nicht waren.
Beth war gerade durch die Terrassentür geeilt, um sich zu ihnen zu gesellen, als der Butler die Ankunft ihres Gastes verkündete.
Amber packte den Stiel ihres Glases fester, und ihr Magen zog sich vor Nervosität zusammen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie Jean-Phi lippe schon vor sich – sie hatte ihn ganz nach dem Bild ihres Vaters geformt, einen Spritzer französische Eleganz hinzugefügt und sich einen Menschen mit großem Charme, dunklem Haar und dunklen Augen und langen Künstlerhänden eingebildet.
Doch der Mann, der sich mit dem Graf und der Gräfin unterhielt, war ganz anders. Er war groß, ja, doch er hatte breite Schultern und eine muskulöse Brust, deren Konturen sich deutlich unter seinem dünnen, kittelartigen Hemd abzeichneten. Während Lord Levington und Henry frisch rasiert waren, trug er einen kleinen spitzen Bart, seine Haut war dunkel, und das dichte Haar trug er in fast schulterlangen Locken wie ein spanischer Edelmann. Nein, korrigierte sich Amber, als er den Kopf wandte und sie seinen goldenen Ohrring aufblitzen sah, er war kein Edelmann, er war ein Zigeuner, vielleicht auch ein Pirat, unbarmherzig, skrupellos und
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