Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
erreicht, wo sie außer Sichtweite des Gartenhäuschens war, die Villa aber noch nicht sehen konnte, als plötzlich Henry vor sie trat und ihr den Weg versperrte.
»Henry! Ich dachte, du und Lord Levington wolltet heute Morgen abreisen?«
Ohne auf ihre Frage einzugehen, sagte er heiser: »Ich habe dich mit ihm gesehen. Ich habe gesehen, wie du dich von ihm hast begrapschen lassen. Hure.« Spuckend schrie er ihr das Wort entgegen, und seine Augen waren tränennass.
Amber war entsetzt. Sie wollte an ihm vorbeihuschen, doch er war schneller, packte sie und zog sie mit sich zu Boden. Er riss an ihren Kleidern und drückte ihr heiße, nasse Küsse, vor denen sie in Panik zurückzuckte, auf die entblößten Körperstellen.
»Hör auf damit, Henry.« Sie musste ihn zur Vernunft bringen. Wenn ihr das nicht gelang, würde sie sich nicht mehr retten können.
»Warum nicht? Ihn hast du doch auch rangelassen. Du gehörst mir. Ich habe dich geliebt, aber jetzt hast du alles kaputt gemacht – du Hure, du Hure.« Er schüttelte sie, bis ihr schwindelig wurde.
»Ich sage es Jean-Phi lippe«, warnte sie ihn.
So abrupt, wie er sie überfallen hatte, ließ er von ihr ab und stolperte davon.
Schockiert und angeekelt sog Amber die frische Luft in tiefen Zügen ein, während sie versuchte, sich Kleider und Haare glatt zu streichen. Henrys Mutter konnte sie sich nicht anvertrauen, denn sie würde ihr nicht glauben wollen. Niemand würde ihr glauben. Sie schaute zum Gästehaus, und bevor sie es sich anders überlegen konnte, rannte sie dorthin zurück. Doch von Jean-Philippe war nirgends eine Spur zu entdecken.
Henry hatte behauptet, er habe sie beobachtet. Amber drehte sich der Magen um, und Übelkeit brannte ihr in der Kehle. Sie hatte recht gehabt, als sie geglaubt hatte, jemanden draußen am Fenster zu sehen.
Sie konnte glücklicherweise in die Villa huschen, ohne dass ihr jemand begegnete. In ihrem Zimmer riss sie sich die Kleider vom Leib und ließ sich ein Bad einlaufen. Sie tauchte ganz darin ein und schrubbte sich gründlich ab.
Sie sehnte sich danach, bei Jean-Phi lippe zu sein, um ihm zu erzählen, was Henry ihr angetan hatte, und um sich in seinen Armen sicher zu fühlen.
Als sie sich so weit gefangen hatte, dass sie wieder nach unten gehen konnte, waren Henry und sein Vater zu ihrer Erleichterung bereits abgereist.
Am Nachmittag kam die Kinderfrau herbeigeeilt, um Lady Levington zu suchen, und fand sie in Ambers Gesellschaft. Sie berichtete, die kleine Arabella sei sehr krank.
Der Arzt kam binnen einer Stunde. Arabella habe starkes Fieber und müsse das Bett hüten, erfuhr Amber von dem Dienstmädchen aus dem Kindertrakt, das zu ihr geschickt worden war, um ihr auszurichten, Arabella weine ständig nach ihrer Mutter und Lady Levington wolle sie vorerst nicht allein lassen. Das bedeutete, dass Amber sich selbst überlassen blieb, solange Arabella krank war.
Amber versicherte dem Dienstmädchen, sie habe vollstes Verständnis und Lady Levington müsse sich keine Gedanken um sie machen.
Da käme es doch recht gelegen, dass Jean-Phi lippe sie gebeten habe, ihm Modell zu sitzen, denn andernfalls hätte sie sich allein doch sicher schrecklich gelangweilt, meinte Lady Levington später, als sie nach unten kam, um sich bei Amber zu entschuldigen und das Küchenpersonal anzuweisen, für die Kleine spezielle Krankenkost zuzubereiten.
Amber schwieg. Was hätte sie auch sagen sollen?
Ihre Gedanken wie auch ihre Gefühle wirbelten in wirrem Chaos durcheinander. Sie konnte kaum glauben, was geschehen war, was sie dabei gefühlt und gewünscht hatte, die Empfindungen, die sie dabei durchlebt hatte. All das war so neu, so unerwartet, dass sie sich fiebrig und benommen fühlte und ihre Stimmung sich von einem Augenblick zum anderen in größte Höhen hinaufschraubte, um gleich darauf in tiefste Abgründe zu stürzen. In den Augen der Welt war das, was er getan hatte, schlecht, das wusste sie, und doch konnte sie es nicht bereuen. Es gehörte jetzt zu ihr, war ein Teil ihrer Gefühls- und Gedankenwelt. Plötzlich verstand sie auch Carolines und Louises unbesonnenes Verhalten. Nicht dass ihre Situation der ihren ähnelte. Sie liebte Jean-Phi lippe, und er liebte sie; sie waren frei, einander zu lieben. Sie hatte nichts weiter getan, als dem Eheversprechen, das sie einander geben würden, ein wenig zuvorzukommen, weil sie von ihren Gefühlen überwältigt worden war.
Die Frau des Bäckers warf den Kopf zurück und gab vor,
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