Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Verzweiflung, dass Jean-Phi lippe sie betrogen hatte, eine sehr greifbare Angst hinzugekommen.
Die Sonne wärmte den Strand, und es war zu spät, sich zu wünschen, sie hätte ihrem inneren Drang nachgegeben, als sie das Gästehaus verließ: ins Meer hinauszugehen und sich mitsamt ihrer Sorgen einfach zu ertränken.
In der Villa erwachte allmählich die Familie, man würde sie vermissen. Wie jemand, der aus einem Traum aufwacht, sah sie mit beängstigender Klarheit das Risiko, das sie eingegangen war, und die Gefahr, in der sie schwebte.
»Armes Kind«, sagte Lord Robert leise. »Das Leben ist grausam, besonders gegenüber den Mutigen und den Unschuldigen, doch es muss nicht so schlimm sein, wie du jetzt befürchtest. Wir werden gut zurechtkommen, Amber. Wenn du mich heiratest, hast du die Freiheit, zu wählen, was du mit deinem Leben anfangen möchtest … innerhalb vernünftiger Grenzen.«
»Ich könnte Design studieren?«
Lord Robert neigte den Kopf. »Wenn du willst.«
Eine winzige Knospe der Hoffnung brach in ihr auf und verdorrte sofort wieder.
»Aber wir können nicht heiraten. Niemand wird uns lassen. Lady Levington …«
»Sei versichert, sobald ich meiner Patentante diskret zu verstehen gebe, dass ich mich schon in London in dich verliebt habe und dass mich nach so langer Trennung letzte Nacht leider die Leidenschaft überwältigt hat, wird sie einsehen, dass wir ohne Verzögerung heiraten müssen. Ich rede mit dem Botschafter in Paris. Es ist wahrscheinlich das Beste, wenn wir dort heiraten, mit Sondererlaubnis. Ich bin überzeugt, deine Großmutter wird entzückt sein zu hören, dass du den Erben eines Herzogtums heiratest, und uns nicht nur ihre Erlaubnis geben, sondern auch ihren Segen. Bei Henry liegt die Sache, fürchte ich, anders.«
Henry!
»Was ist?«, wollte Lord Robert wissen, als er ihre Miene sah.
Amber wollte es ihm nicht sagen, doch ihre Ehrlichkeit zwang sie dazu.
»Er hat dir wehgetan und gedroht? Nun, verlass dich darauf, das wird er nie wieder tun.«
Amber zitterte und war den Tränen nahe, als sie erkannte, dass Lord Roberts Sorge allein ihr galt. Es tat so weh, dass Jean-Philippe sie betrogen hatte, wo sie doch gedacht hatte, er würde sie vor Henry beschützen.
Sie hatte großes Glück. Lord Robert bot ihr so vieles: den Schutz seines Namens und die Sicherheit, die sie dadurch erlangen würde – und ihr Kind, falls sie schwanger war. Sie dachte wieder an Louise und Caroline Fitton Legh und an Henry, und sie wusste, sie konnte nur eine Entscheidung treffen und Lord Robert nur eine Antwort geben. Wer sonst würde ihr helfen? Ihre Großmutter sicher nicht.
Doch ein Teil von ihr sehnte sich noch und weinte vor Verzweiflung um das, was man ihr so grausam entrissen hatte. Es schien unmöglich, dass so etwas passieren konnte. Noch vor einem Tag war die einzige Zukunft, die sie sich hatte vorstellen können, die mit Jean-Phi lippe gewesen.
Als könnte er ihre Gedanken lesen, berührte Lord Robert sie sanft. »Es wird alles gut. Das verspreche ich dir.« Er nahm ihre Hand und hielt sie tröstend. »Wir gehen besser zur Villa zurück und berichten meiner Patentante unsere Neuigkeit.« Blanche hatte Lord Roberts Brief nicht nur einmal gelesen, sondern zweimal. Er war mit der übrigen Morgenpost gekommen, unter der auch Briefe von Amber und von Greg gewesen waren, die sie jedoch noch nicht angerührt hatte. Die Brise, die durchs offene Fenster hereinwehte, warf das Schreibpapier ein wenig auf, trotz seiner Dicke. Automatisch legte Blanche die Hand darauf und runzelte die Stirn, als sie bemerkte, dass ihre Finger zitterten.
Dafür war allein die Eile verantwortlich, mit der Lord Robert verkündet hatte, er werde Amber heiraten, sonst nichts. Wie auch, wo es doch so eine vorteilhafte Ehe für Amber und für die Familie war, weit vorteilhafter als alles, worauf Blanche gehofft hatte, selbst wenn Lord Robert seine Absichten als Feststellung formuliert hatte, statt sie um ihr Einverständnis zu bitten.
Sämtliche Fragen, die ein Vormund einer Braut womöglich stellen wollte, hatte er vorweggenommen und beantwortet. Lord Robert hatte ihr Ansprechpartner bei seinen Banken genannt – dieselben wie ihre eigenen -, damit Blanche sich einen Überblick über seine finanzielle Stabilität verschaffen konnte. Ein Brief vom britischen Botschafter bestätigte seine Identität, ein juristisches Dokument traf sehr großzügige finanzielle Vorkehrungen für Ambers Zukunft, und Lord Robert
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