Der Glanz der Seide: Roman (German Edition)
Patentante lebt.«
Sie hörte, wie Lord Robert ausatmete. »Das hat er dir erzählt? Er hat tatsächlich gesagt, Mrs de Wittier sei seine Patentante?«
Ambers Verwirrung wuchs. »Ja. Warum sollte er auch nicht, wenn es doch wahr ist? Lord Levington hat es uns erzählt, als wir hergekommen sind.«
»Und du und er seid ein Liebespaar?«
Amber konnte ein verräterisches Aufkeuchen nicht verhindern, während die Röte in ihrem Gesicht im Halbdunkel glücklicherweise nicht zu erkennen war.
»Wir lieben einander, ja«, gab sie stolz zu.
»Du meinst, er hat dich verführt.«
»Ich meine, dass ich ihn liebe und dass er mich liebt.«
»Er ist nicht frei, dich zu lieben, Amber. Und er ist nicht Mrs de Wittiers Patensohn. Er ist ihr Liebhaber.«
»Nein, ausgeschlossen«, leugnete Amber und schüttelte den Kopf. »Er liebt mich, das hat er gesagt. Und überhaupt, ich habe ein Foto von ihr gesehen. Sie ist älter als Lady Levington.«
»Ein gutes Stück älter«, stimmte Lord Robert ihr zu, »aber trotzdem hat er mit ihr das Bett geteilt und wird darin zurückerwartet, sobald sie aus Paris wiederkommt.«
»Nein, das stimmt nicht. Das denkst du dir nur aus. Ich glaube dir nicht. Ausgeschlossen … Jean-Phi lippe liebt mich .«
»Das mag ja sein. Schließlich ist seine Beziehung zu Mrs de Wittier nur ein geschäftliches Arrangement. Sie bezahlt ihn dafür, dass er ihr Leben und ihr Bett teilt, in gewissen Kreisen ist das gang und gäbe. Eine wohlhabende ältere Frau hält einen gut aussehenden jungen Mann aus, damit er ihr als Geliebter dient – so ein junger Mann wird als Gigolo bezeichnet. Der Form halber mag Mrs de Wittier Jean-Phi lippe als ihren Patensohn ausgeben, doch ich versichere dir, dass er unter ihren Freunden als das bekannt ist, was er ist. Die Freunde in Cannes, bei denen ich zu Besuch bin, haben viel darüber geredet. Es scheint, der einzige Grund, warum Jean-Phi lippe hier ist und nicht mit Mrs de Wittier in Paris, ist der, dass sie einige sittenstrenge Mitglieder ihrer amerikanischen Familie zu Besuch hat.«
Amber war übel vor Unglauben. »Nein, das ist nicht wahr«, wiederholte sie. »Du musst dich irren. Deine Freunde müssen über jemand anders gesprochen haben. Ich kenne Jean-Philippe. Er würde niemals …« Ambers Gefühle raubten ihr die Stimme.
»Es tut mir sehr leid, Amber. Ich hätte dir das gerne erspart.«
»Hättest du nicht. Wenn du das gewollt hättest, hättest du mir nichts erzählt.«
»Kind, ich konnte bei aller Ehre nicht anders. Selbst wenn ich heute Abend nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, wie du jedem seiner Worte und Bewegungen mit strahlenden Augen gefolgt bist, hätte die Bemerkung meiner Patentante, dass du für ihn Modell sitzt, mich dazu veranlasst. Meine Patentante wurde natürlich genauso getäuscht wie du, denn sie glaubt offenkundig wirklich, dass er Mrs de Wittiers Patensohn ist.«
»Hast du ihr erzählt, dass er das nicht ist?«
»Ich wollte zuerst mit dir reden.«
»Also, jetzt hast du es mir erzählt, aber ich glaube dir nicht. Wenn ich Jean-Philippe sage, was du mir erzählt hast, wird er sagen, dass du dich irrst.«
»Da bin ich mir ganz sicher, Amber. Aber frag ihn um deinetwillen, ob er bereit ist, es mir ins Gesicht zu leugnen. Sieh mich nicht so an. Ich verspreche dir, ich habe nur dein ureigenes Interesse im Sinn, auch wenn es dir unter den Umständen vielleicht schwerfällt, das zu glauben.«
Amber stolperte davon, unfähig zu glauben, was sie gehört hatte. Ihre Welt – eine Welt voller Versprechungen und Möglichkeiten – war donnernd über ihr zusammengestürzt.
21
Sie hatte schlecht geschlafen und wünschte sich am Ende, sie hätte gar nicht geschlafen, denn ihre Ruhe war von schrecklichen Alpträumen gestört worden, in denen Lord Robert und ihre Großmutter ihr Jean-Phi lippe entrissen hatten.
Was Lord Robert gesagt hatte, war nicht wahr. Es konnte nicht wahr sein. Seine Freunde mussten sich irren.
Es war erst vier Uhr, aber sie konnte nicht länger warten. Rasch zog sie sich an, wobei sie ungeschickt an Knöpfen und Verschlüssen nestelte.
Eine unerwartet kühle Brise ließ sie schaudern, während sie dem vertrauten Pfad folgte. Die Sonne stieg gerade erst über den Hügeln hinter der Villa empor und würde mit ihren langen, goldenen Fingern über Jean-Philippes schlafenden Körper streichen.
Jean-Philippe schloss das Gästehaus nie ab. Sie ging hinein, lehnte sich von innen gegen die Tür und versuchte, ihr heftig
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