Der Glanz des Mondes
er dafür, sich dort zu verschanzen, doch ich zögerte nach wie vor, mich auf eine lange Belagerung einzulassen. Zudem war ich mir unsicher, auf wessen Seite sich die Stadt eigentlich schlagen würde. Wir rasteten eine Weile, aßen etwas und ließen die Pferde ausruhen. Ich war mehr als erschöpft und meine Erinnerungen an diese Zeit sind nebulös. Ich wusste, dass mir eine völlige Niederlage bevorstand - dass ich bereits besiegt war. Zum Teil bedauerte ich, dass ich bei meinem verzweifelten Versuch, Kaede zu retten, nicht in der Schlacht gefallen war, andererseits klammerte ich mich an die Prophezeiung, glaubte immer noch, dass sie sich erfüllen würde, und fragte mich, was ich hier eigentlich tat, warum ich wie ein Gespenst in diesem Tempel hockte, in dem wir Zuflucht gesucht hatten. Meine Augenlider schmerzten und mein ganzer Körper schrie nach Schlaf.
Windböen strichen heulend um die Säulen, und von Zeit zu Zeit erbebte das Dach und hob sich, als wollte es davonfliegen. Kaum einer redete; eine trotzige Atmosphäre erfüllte den Raum. Wir waren noch nicht ganz drüben im Reich der Toten angekommen, aber bereits auf dem Weg dorthin. Die Männer schliefen, mit Ausnahme der Wachen, aber ich konnte einfach nicht. Ich würde nicht ruhen können, ehe ich sie alle in Sicherheit gebracht hätte. Mir war klar, dass wir so schnell wie möglich weitermussten, die meisten Nachtstunden hätten durchmarschieren sollen, aber ich brachte es nicht über mich, sie zu wecken, bevor sie ausgeruht waren.
Immer wieder sagte ich mir: Nur noch ein paar Minuten, nur bis Sakai zurück ist, dann endlich hörte ich durch den Wind und den strömenden Regen Hufgetrappel, jedoch nicht von einem Pferd, sondern von zweien, wie mir schien.
Ich ging zur Veranda, um in die Dunkelheit und in den Regen hinauszublicken, und sah Sakai und hinter ihm Hiroshi, der vom Rücken eines alten, ausgemergelten Pferdes glitt.
»Ich hab ihn auf der Straße aufgelesen«, rief Sakai, »draußen vor der Stadt! Er war losgeritten, um Sie zu suchen. Bei diesem Wetter!« Die beiden waren Cousins, wie ich meinte, und ich hörte den Anflug von Stolz in seiner Stimme.
»Hiroshi!«, sagte ich und er kam zur Veranda gelaufen, löste seine durchweichten Sandalen und fiel auf die Knie.
»Lord Otori.«
Ich zog ihn aus dem Regen ins Haus und blickte ihn erstaunt an.
»Mein Onkel ist tot und die Stadt hat sich Arais Männern ergeben«, berichtete er wütend. »Ich kann es nicht glauben! Kaum dass Sie aufgebrochen waren, traf der Ältestenrat diese Entscheidung. Mein Onkel nahm sich lieber das Leben als zuzustimmen. Arais Männer kamen heute am frühen Morgen an und die Ältesten ergaben sich auf der Stelle.«
Auch wenn ich diese Nachricht fast schon erwartet hatte, versetzte sie mir doch einen herben Schlag, vor allem wegen Sugita, der Kaede so treu ergeben gewesen war. Zugleich war ich erleichtert, meinem Instinkt gefolgt zu sein und nun noch die Rückzugsroute zur Küste zur Verfügung zu haben. Aber nun galt es, sofort aufzubrechen. Ich rief nach den Wachen, damit sie die Männer weckten.
»Bist du den ganzen Weg geritten, um mir das zu sagen?«, fragte ich Hiroshi.
»Auch wenn ganz Maruyama Sie im Stich lässt, ich werde es nicht tun«, erwiderte er. »Ich hatte Ihnen doch versprochen zu kommen. Ich habe sogar das älteste Pferd im ganzen Stall genommen!«
»Du hättest besser daran getan, zu Hause zu bleiben. Meine Zukunft sieht im Moment düster aus.«
»Ich schäme mich auch«, sagte Hiroshi mit leiser Stimme. »Ich dachte, alle würden zu Ihnen stehen.«
»Ich mache ihnen keinen Vorwurf«, sagte ich. »Arai ist ein übermächtiger Gegner und uns ist von Anfang an klar gewesen, dass Maruyama eine lange Belagerung nicht durchhalten wird. Es ist besser, sofort zu kapitulieren, die Menschen zu schützen und die Ernte zu retten.«
»Sie erwarten, dass Sie und Ihre Truppen in die Stadt zurückweichen werden«, sagte Hiroshi. »Der Großteil von Arais Männern erwartet Sie am Asagawa.«
»Dann werden uns ja vielleicht nicht so viele auf den Fersen sein«, erwiderte ich. »Sie werden sicher nicht damit rechnen, dass wir den Weg zur Küste nehmen. Wenn wir Tag und Nacht reiten, können wir in ein paar Tagen dort sein.« Ich wandte mich an Sakai: »Es hat keinen Sinn, dass ein Kind wie Hiroshi dem Clan seiner Heimatstadt trotzt und sein Leben für eine verlorene Sache wegwirft. Bringen Sie ihn zurück nach Maruyama. Ich entbinde ihn und Sie von jeglicher
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