Der Glanz des Mondes
Süden diente. Der Brief war quälend kurz, verriet ihnen nichts über die Dinge, die sie gern gewusst hätten. Er war in Eile geschrieben und offenbar unter nicht ganz ungefährlichen Umständen, nur eine Mitteilung, dass Shirakawa Kaede sich im Haus befände und mit Fujiwara verheiratet sei.
»Was haben sie ihr nun wieder angetan?«, sagte Kenji, den die Wut kurzfristig aus seinem Kummer riss.
»Wir wussten doch von Anfang an, dass die Heirat mit Takeo auf Widerstand stoßen würde«, sagte Shizuka. »Ich denke, Fujiwara und Arai haben diese Sache zwischen sich ausgemacht. Lord Fujiwara wollte sie heiraten, bevor sie im Frühjahr abreiste. Ich bedaure es, dass ich sie auch noch dazu ermutigt habe, ihm näher zu kommen.«
Sie stellte sich Kaede vor, eingesperrt in der luxuriösen Residenz, erinnerte sich an die Grausamkeit des Edelmannes und wünschte, sie hätte sich damals anders verhalten.
»Ich weiß nicht, was mit mir los ist«, sagte sie zu ihrem Onkel. »Früher war ich solchen Dingen gegenüber gleichmütig. Nun merke ich, dass sie mich tief berühren. Ich bin schockiert und entsetzt und empfinde tiefes Mitleid für die beiden.«
»Seit ich sie zum ersten Mal sah, rührte mich Lady Shirakawas Not«, erwiderte er. »Es fällt schwer, sie nun nicht umso stärker zu bedauern.«
»Was wird Takeo wohl tun?«, überlegte Shizuka laut.
»Er wird in den Krieg ziehen«, prophezeite Kenji. »Und mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unterliegen. Es könnte bereits zu spät für uns sein, um mit ihm Frieden zu schließen.«
Shizuka sah, wie der Kummer sich erneut seiner bemächtigte. Sie hatte Angst, er würde Yuki in den Tod folgen, und versuchte darauf zu achten, dass ständig jemand bei ihm war.
Eine weitere Woche verging, bis Kondo endlich zurückkehrte. Das Wetter hatte sich gebessert und Shizuka war wieder zum Schrein gegangen, um zum Kriegsgott zu beten, damit er Takeo beschütze. Sie verneigte sich vor dem Bildnis und erhob sich, klatschte dreimal in die Hände, hilflos darum bittend, dass auch Kaede errettet werden möge. Als sie sich abwandte, um zu gehen, machte sich Taku direkt vor ihr sichtbar.
»Ha!«, sagte er triumphierend. »Diesmal hast du mich nicht gehört!«
Sie war verblüfft, denn sie hatte ihn tatsächlich weder gehört noch sonst irgendwie bemerkt. »Gut gemacht!«
Taku grinste. »Kondo Kiichi ist zurück. Er erwartet dich. Onkel Kenji will, dass du seine Neuigkeiten hörst.«
»Dann pass gut auf, dass du sie nicht mithörst!«, neckte sie ihn.
»Ich hör gern Sachen«, sagte er. »Ich mag es, von jedem die Geheimnisse zu kennen.«
Er lief vor ihr die staubige Straße hinauf, jedes Mal unsichtbar werdend, wenn er von der Sonne in den Schatten wechselte. Für ihn ist alles nur ein Spiel, dachte sie, genau wie für mich früher. Doch irgendwann letztes Jahr hat es aufgehört, nur ein Spiel zu sein. Warum? Was ist mit mir geschehen? Habe ich plötzlich gelernt, mich zu fürchten? Vielleicht davor, Menschen zu verlieren, die ich liebe?
Kondo saß zusammen mit ihrem Onkel im Hauptraum. Sie kniete vor ihnen nieder und begrüßte den Mann, der ihr zwei Monate zuvor einen Heiratsantrag gemacht hatte. Als sie ihn nun wieder vor sich sah, wusste Shizuka, dass sie ihn nicht wollte. Sie würde irgendeine Entschuldigung finden, gesundheitliche Probleme vorschützen.
Sein Gesicht wirkte hager und abgespannt, doch seine Begrüßung war herzlich.
»Entschuldigt, dass ich mich so verspätet habe«, sagte er. »Zwischenzeitlich glaubte ich schon nicht mehr daran, überhaupt jemals wieder zurückzukehren. Ich wurde verhaftet, kaum dass ich in Inuyama ankam. Das fehlgeschlagene Attentat auf dich war Arai gemeldet worden und die Männer, die uns nach Shirakawa begleitet hatten, erkannten mich wieder. Ich rechnete mit der Todesstrafe. Doch dann ereignete sich eine Tragödie: Eine Pockenseuche brach aus. Arais Sohn starb. Als die Trauerzeit vorüber war, ließ er mich holen und fragte mich genauestens über dich aus.«
»Jetzt interessiert er sich wieder für deine Söhne«, bemerkte Kenji.
»Er meinte, er stünde in meiner Schuld, weil ich dir das Leben gerettet hätte. Er wollte mich wieder in seine Dienste aufnehmen, bot mir an, mich als Krieger vom Rang der Familie meiner Mutter anzuerkennen, und versprach mir Lohn.«
Shizuka warf ihrem Onkel einen Blick zu, aber Kenji sagte nichts.
»Ich nahm sein Angebot an«, fuhr Kondo fort. »Hoffentlich war es die richtige Entscheidung.
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