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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Die meisten von ihnen kauerten schweigend da, hatten sich ihrem Schicksal ergeben; ein oder zwei wimmerten vor Angst, einer kniete.
    Aus ihrem Klagen hörte ich deutlich Jo-Ans Stimme heraus, der leise betend vor sich hinmurmelte.
    Arai gab einen Befehl und der Ausgestoßene wurde nach vorn gezerrt. Ich blickte zu ihm hinunter. Mein Innerstes war erkaltet. Ich würde weder Mitleid noch Entsetzen empfinden. Ich würde einfach nur tun, was Lord Arai mir befahl.
    »Ich würde Sie ja gern bitten, vor jedermanns Augen auf den abscheulichen Götzenbildern der Verborgenen herumzutrampeln, Otori«, sagte er, »aber leider haben wir keine hier. Dieses Ding hier, dieser Ausgestoßene, wurde letzte Nacht auf der Straße aufgelesen, er ritt das Pferd eines Kriegers. Einige meiner Männer kannten ihn aus Yamagata. Damals bestand zuweilen der Verdacht, er könnte irgendetwas mit Ihnen zu tun haben. Man war der Meinung, dass er inzwischen gestorben sei. Nun taucht er plötzlich wieder auf, hat sich in ungesetzlicher Art und Weise von seinem Wohnort entfernt und, wie wir wissen, Sie in vielen Ihrer Schlachten begleitet. Er macht kein Geheimnis daraus, ein Gläubiger zu sein.«
    Seine Miene verriet Abscheu, als er auf Jo-An hinunterblickte. Dann drehte er sich zu mir um und hielt mir das Schwert hin. »Lassen Sie mich sehen, wie Jato fällt.«
    Ich konnte Jo-Ans Augen nicht sehen. Ich wollte tief in sie hineinblicken, doch man hatte ihn so gefesselt, dass er den Kopf nach unten halten musste und ihn nicht bewegen konnte. Er flüsterte weiter Gebete vor sich hin, die nur ich hören konnte, jene Gebete, die die Verborgenen im Moment des Todes sprechen. Mir blieb nichts anderes übrig, als das Schwert zu nehmen und es zu führen. Wenn ich auch nur einen Moment zögerte, das wusste ich, würde ich es niemals über mich bringen und damit alles wegwerfen, wofür ich gekämpft hatte.
    Ich spürte das vertraute, beruhigende Gewicht von Jato in meiner Hand, betete, dass es mich nicht im Stich lassen würde, und richtete meine Augen auf die Wirbel an Jo-Ans entblößtem Nacken.
    Das Schwert fiel so sicher wie immer.
    Damals haben Sie meinen Bruder in Yamagata von seinen Leiden erlöst. Falls es dazu kommt, werden Sie dasselbe auch für mich tun?
    Es war dazu gekommen und ich tat, worum er mich gebeten hatte, ersparte ihm die Qualen der Folter und gab ihm denselben schnellen und ehrenvollen Tod wie Shigeru. Doch noch immer ist seine Hinrichtung eines der schlimmsten Ereignisse meines Lebens und die Erinnerung daran lässt meine Lippen erzittern und verursacht mir Übelkeit in der Magengegend.
    Doch zum damaligen Zeitpunkt konnte ich nichts davon zeigen. Jedes Anzeichen von Schwäche oder Bedauern wäre mein Ende gewesen. Der Tod eines Ausgestoßenen hatte weniger Bedeutung als der eines Hundes. Ich blickte nicht auf den abgetrennten Kopf hinunter, nicht auf das hervorschießende Blut. Ich schaute Arai an.
    Für einen kurzen Moment begegneten sich unsere Blicke, dann senkte ich die Augen.
    »Na also«, sagte er zufrieden und sah sich in der Runde seiner Gefolgsleute um. »Ich wusste doch, dass wir uns um diesen Otori keine Sorgen machen müssen.« Er klopfte mir auf die Schulter, seine gute Laune war voll und ganz zurückgekehrt. »Wir werden zusammen essen und unsere Pläne besprechen. Ihre Männer können hier bleiben; ich werde dafür sorgen, dass sie zu essen bekommen.«
    Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Es musste gegen Mittag sein. Während wir aßen, begann die Temperatur zu fallen und von Nordwesten kam ein kühler Wind auf. Die plötzliche Abkühlung steigerte Arais Unternehmungslust. Er entschied, am nächsten Tag im Morgengrauen aufzubrechen, den Rest seiner Armee zu holen und dann sofort gegen Hagi zu marschieren. Ich sollte mit meinen Männern zur Küste zurückkehren und für den Angriff von der Seeseite aus alles vorbereiten.
    Wir verabredeten, dass die Schlacht zum nächsten Vollmond stattfinden sollte, dem des zehnten Monats. Sollte ich es nicht schaffen, die Einschiffung bis dahin zu organisieren, würde Arai den Feldzug aufgeben, die bislang eingenommenen Gebiete sichern und sich nach Inuyama zurückziehen, wo wir uns wieder treffen würden. Weder er noch ich maßen diesem zweiten Plan besonders viel Bedeutung zu. Wir waren beide fest entschlossen, die Angelegenheit bis zum Wintereinbruch erledigt zu haben.
    Kahei wurde herbeigerufen und wir begrüßten uns freudig, hatten

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