Der Glanz des Mondes
bemerkte Shizuka, als könnte sie meine Gedanken lesen.
»Der Kaiser! Was tut der Kaiser denn schon für uns, die wir so weit von der Hauptstadt entfernt leben! Vielleicht gibt es nicht mal einen Kaiser. Das Ganze klingt wie eine Schauergeschichte, erfunden, um Kindern Angst und Schrecken einzujagen!«
»Da wir gerade von Schuld sprechen«, sagte Shizuka, meinen Ausbruch ignorierend. »Ich fühle mich selber schuldig. Ich habe Kaede nahe gelegt, Fujiwaras Aufmerksamkeit zu erregen. Aber ohne seine Unterstützung wären wir in Shirakawa im letzten Winter alle verhungert.«
Sie trank ihren Tee aus und verneigte sich formell vor mir.
»Wenn Lord Otori einverstanden ist, gehe ich jetzt und hole meinen Onkel.«
»Ich werde ihn hier in ein paar Stunden empfangen. Vorher habe ich mich noch um einige Dinge zu kümmern.«
»Lord Otori.«
Dass Shizuka mich so nannte, hatte eine seltsame Wirkung auf mich, denn zuvor hatte ich sie nur Shigeru mit diesem Titel anreden hören. Während unseres Treffens, das wurde mir nun bewusst, war ich von Cousin über Takeo zu Lord Otori aufgestiegen, was mir unvernünftigerweise schmeichelte. Wenn Shizuka meine Autorität anerkannte, strahlte ich sie wohl tatsächlich aus.
Ich wies meine Wachtposten an, ein Auge auf Taku zu haben und ging, um nach dem Teil meiner Armee zu sehen, der mir geblieben war. Die zwei Tage der Ruhe und guten Verpflegung hatten bei den Männern wie bei den Pferden wahre Wunder gewirkt. Ich konnte es kaum erwarten, wieder an die Küste zurückzukehren und schnellstmöglich von Fumio Nachricht zu erhalten; ich würde nur mit einer kleinen Gruppe losreiten, aber was sollte mit den restlichen Truppen geschehen? Das Problem war wie immer das der Verpflegung. Die Leute in Shuho waren sehr großzügig zu uns gewesen, aber zu erwarten, dass sie uns weiterhin mit Essen versorgten, hätte ihren guten Willen und ihre Vorräte überstrapaziert. Selbst wenn ich den Großteil der Armee unter Kaheis Befehl sofort losgeschickt hätte, um Arai auf dem Landweg zu folgen, würde ich dennoch Proviant für sie brauchen.
Über diese Probleme grübelnd kehrte ich gegen Mittag zu Shiros Haus zurück. Ich musste wieder an die Fischer am Strand denken und an die Banditen, vor denen sie sich so fürchteten. Ein Ausfall gegen die Banditen schien mir gerade das Richtige zu sein, um die Zeit zu überbrücken, die Männer zu beschäftigen und ihren Kampfgeist nach dem Rückzug neu zu wecken. Zudem würden wir damit den Bewohnern der Gegend einen Gefallen tun und konnten auf diese Weise vielleicht zusätzlich zu Proviant und Ausrüstung kommen. Die Idee gefiel mir immer besser.
Im Schatten des Ziegeldaches hockte ein Mann auf seinen Fersen - er war unauffällig, trug ausgeblichene blaugraue Kleidung und keine sichtbaren Waffen. An seiner Seite saß ein etwa zwölfjähriger Junge. Beide erhoben sich langsam, als sie mich sahen.
Ich deutete mit dem Kopf zum Haus. »Kommt herauf.«
Kenji schlüpfte aus seinen Sandalen und betrat die Veranda.
»Warte hier«, sagte ich. »Der Junge kommt mit mir.«
Ich ging mit Zenko hinein, wo Taku immer noch schlief. Ich übergab Takus Garrotte den Wachtposten und befahl ihnen, die Jungen umgehend zu erdrosseln, falls mich jemand angreifen sollte. Zenko sagte nichts und zeigte keine Anzeichen von Furcht. Mir fiel auf, wie sehr er Arai ähnelte. Dann ging ich zurück zu meinem Lehrer.
Wir betraten das Haus, nahmen Platz und blickten uns eine Weile an. Dann verbeugte Kenji sich und sagte in seinem typisch ironischen Tonfall: »Lord Otori.«
»Muto«, erwiderte ich. »Taku befindet sich ebenfalls nebenan. Er und sein Bruder werden bei dem geringsten Versuch eines Attentats auf mich augenblicklich sterben.«
Kenji wirkte älter und in seinem Gesicht sah ich eine Müdigkeit, die er früher nicht gehabt hatte. An den Schläfen begann sein Haar sich grau zu färben.
»Es liegt mir fern, dir Leid zuzufügen, Takeo.« Er sah mein Stirnrunzeln und verbesserte sich mit einem Anflug von Ungeduld: »Lord Otori. Du wirst es mir vielleicht nicht glauben, aber es war niemals meine Absicht. Als ich in jener Nacht bei Shigeru gelobte, dich mein Leben lang beschützen zu wollen, meinte ich es ernst.«
»Du besitzt eine seltsame Art deine Versprechen einzulösen«, sagte ich.
»Ich denke, wir wissen alle, wie es ist, zwischen widersprüchlichen Verpflichtungen hin- und hergerissen zu sein«, sagte er. »Können wir das jetzt nicht hinter uns lassen?«
»Ich wäre froh,
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