Der Glanz des Mondes
zu fliehen, doch es gab nirgends ein Entkommen. Terada und seine Männer hatten ihre eigenen Rechnungen zu begleichen, und immer wieder stießen wir auf Nester erbitterten Widerstandes, die wir in wilden Handgemengen niederkämpfen mussten.
Schließlich erreichten wir das Ufer des westlichen Flusses, unweit der Steinbrücke. Nach dem Sonnenstand musste es bereits später Nachmittag sein. Der Nebel war längst verflogen, doch über dem Fluss hing der Rauch von brennenden Häusern. Auf der gegenüberliegenden Seite leuchteten die letzten Blätter der Ahornbäume rot und die Weiden entlang der Uferböschung hatten sich gelb gefärbt. Das Laub fiel herab und wurde vom wirbelnden Wasser davongetragen. In den Gärten blühten die letzten Chrysanthemen. Weiter hinten erkannte ich das Fischwehr und die gekachelten Mauern längs der Böschung.
Dort drüben steht mein Haus, dachte ich. Dort werde ich heute Nacht schlafen.
Der Fluss war voll mit schwimmenden Männern und kleinen Booten, bis ans Dollbord beladen, während ein langer Strom von Soldaten Richtung Brücke drängte.
Kenji und Taku waren immer noch bei mir. Die Grausamkeit der Krieger hatte Taku die Sprache verschlagen. Wir starrten auf die Szenerie: die Reste der Otoriarmee, geschlagen. Ich empfand Mitleid für sie und Wut auf ihre Lords, von denen sie so getäuscht und verraten worden waren, die ihnen diesen verzweifelten Rückzugskampf zugemutet hatten, während sie selbst bequem im Schloss von Hagi schliefen.
Ich war von Fumio getrennt worden, doch nun traf ich ihn mit einigen seiner Männer an der Brücke wieder. Offenbar stritten sie mit einer Gruppe von Otorihauptmännern. Wir gingen zu ihnen hinüber. Zenko war an Fumios Seite und lächelte seinem Bruder kurz zu. Sie standen dicht beieinander, sagten aber nichts.
»Dies hier ist Lord Otori Takeo«, sagte Fumio zu den Männern, als ich mich näherte. »Das Schloss hat sich ihm ergeben. Er wird es euch selber sagen.« Er wandte sich nach mir um. »Sie wollen die Brücke zerstören und sich für eine Belagerung rüsten. Sie glauben nicht an das Bündnis mit Arai. Die ganze letzte Woche haben sie versucht ihn abzuwehren. Er ist ihnen dicht auf den Fersen. Sie sagen, ihre einzige Chance wäre, die Brücke auf der Stelle niederzureißen.«
Ich nahm meinen Helm ab, damit sie mein Gesicht sehen konnten. Augenblicklich fielen sie auf die Knie. »Arai hat geschworen, mich zu unterstützen«, sagte ich. »Das Bündnis ist echt. Sobald er erfährt, dass die Stadt sich ergeben hat, wird er den Angriff beenden.«
»Lassen Sie uns die Brücke trotzdem niederreißen«, sagte der Anführer.
Ich dachte an den Geist des Steinmetzen, der bei lebendigem Leibe in seinem Werk begraben worden war, und an die Inschrift, die Shigeru mir vorgelesen hatte: Der Clan der Otori heißt die Gerechten und Treuen willkommen. Die Ungerechten und Untreuen sollen sich in Acht nehmen. Ich wollte ein solch kostbares Bauwerk nicht zerstören und sah ohnehin nicht die Möglichkeit, es noch rechtzeitig einzureißen.
»Nein, lasst sie stehen«, erwiderte ich. »Ich bürge für Lord Arais Treue. Sagt euren Männern, dass sie nichts zu befürchten haben, wenn sie sich ergeben und mich als ihren Herrn anerkennen.«
Endo und Miyoshi näherten sich zu Pferde und ich schickte sie los, damit sie die Nachricht unter den Otorisoldaten verbreiteten. Nach und nach legte sich das Chaos. Wir räumten die Brücke und Endo ritt hinüber ans andere Ufer, um eine etwas geordnetere Rückkehr in die Stadt zu organisieren. Viele Männer waren beruhigt genug, um sich, wo sie gerade standen oder gingen, niederzulassen und zu rasten, während andere entschieden, dass sie ebenso gut nach Hause gehen konnten, und zu ihren Höfen und Häusern aufbrachen.
Miyoshi sagte: »Sie sollten reiten, Lord Takeo«, und gab mir sein Pferd, einen stattlichen Rappen, der mich an Aoi erinnerte. Ich stieg auf, ritt über die Brücke, um dort mit den Männern zu sprechen, was bei ihnen Jubelschreie auslöste, dann kehrte ich mit Endo wieder zurück. Als der Jubel abebbte, hörte ich weit entfernt die Geräusche von Arais sich nähernder Armee, das Trampeln der Pferde und Männer.
Sie kamen das Tal hinunter, ein Ameisenstrom in der Ferne, die Banner der Kumamoto und der Seishuu entrollt. Als sie sich näherten, erkannte ich Arai an ihrer Spitze: seinen Fuchs, den Hirschgeweih-Helm, die Rüstung mit den roten Tressen.
Mich zu Kenji hinüberbeugend, sagte ich: »Ich sollte ihm
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