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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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entführt, um mich damit zu treffen?
    »Es war Lord Fujiwara«, sagte Makoto. »Sie befindet sich in seinem Haus.«
    Wir rannten über den Haupthof zum Schlosstor hinaus, den Hang hinab und über die Brücke in die Stadt. Sugitas Haus lag gleich gegenüber. Draußen hatte sich eine kleine Menschenmenge gebildet, die schweigend gaffte. Wir drängten uns hindurch und betraten den Garten. Zwei Stallburschen mühten sich gerade ab, ein völlig erschöpft daliegendes Pferd wieder auf die Beine zu bringen. Es hatte eine schöne rötlich graue Farbe und seine Flanken waren dunkel vom Schweiß. Es rollte mit den Augen und Schaum trat ihm aus dem Maul. Mein Eindruck war, dass es nie wieder aufstehen würde.
    »Der Junge ist Tag und Nacht geritten, um herzukommen«, sagte Makoto, aber ich hörte kaum zu. Noch mehr als sonst nahmen meine Sinne jedes noch so kleine Detail der Dinge auf, die mich umgaben: der Glanz der Holzfußböden im Haus, der Duft der Blumen in den Lauben, der Gesang der Vögel in den Gartensträuchern. Und in meinem Kopf wiederholte eine monotone Stimme ununterbrochen: Fujiwara?
    Sugita kam heraus, als wir uns näherten, sein Gesicht war aschfahl. Er brachte kein Wort über die Lippen und wirkte wie ein Mann, der bereits beschlossen hatte, seinem Leben ein Ende zu setzen, ein Schatten seiner selbst verglichen mit dem Abend zuvor.
    »Lord Otori…«, stammelte er.
    »Ist der Junge verletzt? Kann er reden?«
    »Sie kommen besser selbst herein und sprechen mit ihm.«
    Hiroshi lag in einem Zimmer im hinteren Teil des Hauses, das auf einen kleinen grünen Garten hinausging. Ich hörte einen Bach, der dort hindurchfloss. Hier war es kühler als in den Haupträumen und das grelle Morgenlicht wurde durch schattige Bäume gedämpft. An der Seite des Jungen knieten zwei Frauen; die eine kühlte ihm Stirn, Arme und Beine mit feuchten Tüchern, die andere hielt eine Teeschale und versuchte ihn dazu zu bringen, etwas zu trinken.
    Beide hielten inne und verneigten sich bis zum Boden, als wir eintraten. Hiroshi wandte den Kopf, sah mich und wollte sich aufsetzen.
    »Lord Otori«, flüsterte er und seine Augen füllten sich unwillkürlich mit Tränen. Dagegen ankämpfend sagte er: »Es tut mir Leid, es tut mir Leid. Vergeben Sie mir.«
    Ich bedauerte ihn. Er gab sich solche Mühe ein Krieger zu sein, dem strengen Verhaltenskodex der Kriegerklasse gerecht zu werden. Ich kniete mich neben ihn und legte ihm sanft die Hand auf den Kopf. Seine Haartracht war immer noch die eines Kindes; er war noch Jahre davon entfernt, ein Mann zu sein, und versuchte doch schon, sich so zu verhalten.
    »Erzähl mir, was geschehen ist.«
    Seine Augen hingen an meinem Gesicht, doch ich erwiderte seinen Blick nicht. Er sprach mit leiser, ruhiger Stimme, als hätte er seinen Rechenschaftsbericht auf dem langen Nachhauseritt immer und immer wieder geprobt.
    »Als wir zu Lady Otoris Haus kamen, berichtete ihr der Gefolgsmann Lord Shoji - ihm dürfen Sie nicht trauen, er hat uns verraten! -, dass ihre Schwestern bei Lord Fujiwara zu Besuch wären. Sie schickte ihn fort, um die Schwestern zu holen, doch er kehrte zurück und berichtete, sie befänden sich nicht mehr dort, der Lord würde Lady Shirakawa - so sprach er sie die ganze Zeit an - jedoch mitteilen, wo die beiden sich aufhielten, wenn sie ihm einen Besuch abstatten würde. Wir ritten am darauffolgenden Tag. Ein Mann namens Murita kam uns entgegen. Sobald Lady Otori das Tor passiert hatte, stürzte man sich auf sie. Amano, der neben ihr ritt, wurde sofort getötet. Mehr habe ich nicht gesehen.«
    Seine Stimme wurde leiser und er holte tief Luft.
    »Mein Pferd ging durch. Ich hatte es nicht mehr unter Kontrolle. Ich hätte ein ruhigeres Pferd nehmen sollen, aber ich mochte es, weil es so schön war. Amano schalt mich deswegen; er meinte, das Pferd sei zu stark für mich. Ich wollte nicht auf ihn hören. Ich konnte sie nicht verteidigen.«
    Tränen liefen ihm über die Wangen. Eine der Frauen beugte sich vor und wischte sie fort.
    »Wir müssen deinem Pferd dankbar sein«, sagte Makoto mit sanfter Stimme. »Es hat dir mit Sicherheit das Leben gerettet, und wenn du nicht entkommen wärst, hätten wir nie erfahren, was passiert ist.«
    Ich suchte nach Worten, die Hiroshi hätten trösten können, doch es gab keinen Trost.
    »Lord Otori«, sagte er und versuchte sich aufzurichten. »Ich zeige Ihnen den Weg. Wir können hinreiten und sie zurückholen!«
    Die Anstrengung war zu viel für ihn, sein

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