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Der Glanz des Mondes

Der Glanz des Mondes

Titel: Der Glanz des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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stünde unmittelbar bevor, was am Lichthof des letzten Vollmonds, am Flug der Gänse und an den Schmerzen in ihren Knochen abzulesen sei. Ich ordnete an, dass Sugitas Krieger beim Verstärken von Deichen und Uferböschungen helfen sollten, um Überschwemmungen vorzubeugen; sie würden sich zweifellos beschweren, aber ich hoffte darauf, dass sie ein Gespür für die Notsituation entwickelten und ihren Stolz überwanden.
    Schließlich kam ich, mehr durch Zufall als beabsichtigt, an dem kleinen Dorf vorbei, wo die Ausgestoßenen sich niedergelassen hatten. Wie gewöhnlich hing der Geruch von gegerbten Fellen und frischem Blut in der Luft. Einige Männer, darunter auch Jo-An, häuteten gerade ein totes Pferd. Ich erkannte die helle rötliche Farbe des Fells. Es war Hiroshis Pferd, das ich am Morgen hatte sterben sehen. Rufend begrüßte ich Jo-An, saß ab und übergab die Zügel einem der Stallburschen, die mich bei meinem Ausritt begleiteten. Ich ging hinüber, blieb am Ufer stehen und Jo-An kam und hockte sich ans Wasser, um sich das Blut von Händen und Armen zu waschen.
    »Hast du schon gehört, was geschehen ist?«
    Er nickte, warf mir einen kurzen Blick zu und fragte: »Was werden Sie tun?«
    »Was sollte ich tun?« Ich wünschte, dass irgendein Gott zu mir spräche. Ich wollte eine weitere Prophezeiung hören, eine, in der auch Kaede vorkam, eine, die uns eine gemeinsame Zukunft versprach. Ich würde ihr blindlings folgen.
    »Es folgen drei weitere Schlachten«, sagte Jo-An. »Eine Niederlage und zwei Siege. Dann werden Sie in Frieden herrschen, von Meer zu Meer.«
    »Zusammen mit meiner Frau?«
    Sein Blick schweifte über den Fluss. Zwei weiße Reiher fischten in der Nähe des Wehrs. Etwas Blau-Orangefarbenes blitzte auf, als ein Eisvogel von einer Weide ins Wasser herabstieß. »Wenn Sie eine Niederlage hinnehmen müssen, sollten Sie es jetzt tun«, sagte er.
    »Wenn ich meine Frau verliere, spielen all diese Dinge keine Rolle mehr für mich«, sagte ich. »Dann würde ich mich umbringen.«
    »Das ist uns verboten«, erwiderte er sofort. »Gott hat, was Ihr Leben angeht, seine Pläne. Alles, was Sie tun müssen, ist, diesem Plan zu folgen.«
    Als ich nichts erwiderte, fuhr er fort: »Für uns, die wir alles für Sie aufgegeben haben, spielt es eine Rolle. Es spielt für diejenigen in den Otorigebieten eine Rolle, die gerade leiden. Wir können den Krieg ertragen, wenn das Ergebnis Frieden ist. Lassen Sie uns nicht im Stich.«
    Als ich dort im Abendlicht an diesem friedlichen Fluss stand, war mir, als müsste mir vollends das Herz brechen, wenn ich Kaede verlöre. Ein Graureiher schwebte langsam über die Wasseroberfläche dahin, unter sich sein Spiegelbild. Er legte die großen Flügel an und landete mit einem minimalen Plätschern. Aufmerksam drehte er seinen Kopf in unsere Richtung und begann schließlich, erleichtert, dass wir keine Gefahr darstellten, mit ruhigen Bewegungen im flachen Wasser umherzustaksen.
    Mein eigentliches Ziel war, Shigerus Tod voll und ganz zu rächen und mein Erbe anzutreten. Dann würde die Prophezeiung sich erfüllen. Aber ich konnte unmöglich tatenlos zusehen, wie man mir Kaede nahm. Ich musste zu ihr, selbst wenn es bedeutete, dass ich damit alles wegwarf, wofür ich bislang gekämpft hatte.
    Ich sagte Jo-An Lebewohl und ritt zurück zum Schloss. Dort hatte man die Nachricht erhalten, dass Hiroshi wieder aufgewacht sei und sich sein Zustand bessere. Ich gab die Anweisung, ihn so rasch wie möglich zu mir zu bringen. Während ich wartete, durchsuchte ich die ganze Residenz nach der Kiste mit den Aufzeichnungen, aber sie waren spurlos verschwunden. Auch dies bereitete mir zusätzliche Sorgen. Ich fürchtete, dass sie gestohlen worden waren, was bedeutet hätte, dass es dem Stamm gelungen sein musste, ins Schloss einzudringen, und dass es ihm jederzeit wieder gelingen konnte.
    Hiroshi kam vor Einbruch der Dunkelheit zu mir. Er war noch blass und hatte dunkle Augenringe, doch ansonsten hatte er sich rasch erholt. Körperlich und geistig besaß er die Zähigkeit eines erwachsenen Mannes. Ich befragte ihn in allen Einzelheiten zu der Reise und bat ihn, die Gegend rund um Shirakawa und Fujiwaras Residenz zu beschreiben. Er erzählte mir, dass Raku getötet worden war, und die Nachricht erfüllte mich mit tiefer Traurigkeit. Das graue Pferd mit der schwarzen Mähne war das erste gewesen, das ich zu beherrschen gelernt hatte, und es verband mich mit Shigeru und meiner kurzen Zeit als sein

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