Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
nicht die Absicht, Lyle irgendetwas zu gestehen.«
Davon ganz abgesehen hatte Elena guten Grund zu der Annahme, dass Lyle glücklich verheiratet war und Kinder hatte, und nur wegen ihrer eigenen Schuldgefühle wollte sie sein Glück nicht zerstören. Sie konnte einfach nicht fassen, dass das passiert war.
Elena brauchte noch eine Zeit, um sich zu beruhigen, dann fasste sie einen Entschluss. Sie bat Dr. Robinson um eine Unterredung und fragte ihn, ob sie Marcus unter seine Obhut stellen könne. Natürlich war Ken Robinson gleich einverstanden. Marcus war nicht gerade glücklich, als Elena ins Krankenhaus kam und ihm das erzählte, genauso wenig wie Dr. Thompson.
»Ich habe nichts gegen Ken«, sagte Neil. »Aber ich glaube, Marcus sollte bis morgen hierbleiben. Er muss mindestens noch vierundzwanzig Stunden unter Beobachtung stehen.«
»Ich möchte nicht, dass Sie Dr. MacAllister wegen Marcus behelligen«, beharrte Elena.
»Er hilft wirklich gern«, betonte Neil. »Aber etwas anderes ist noch wichtiger, Elena. Ich glaube, er ist der einzige Arzt im Umkreis von Hunderten von Meilen, der Ihrem Sohn helfen kann.«
Elena erschrak, als sie das hörte, und fühlte sich hin und her gerissen. Sie wollte schließlich das Beste für Marcus.
»Ich will Dr. MacAllister wiedersehen, Mamma«, erklärte Marcus entschlossen.
Elena sah ihren Sohn nachdenklich an. Es schien, als gäbe es eine Art Verbindung zwischen Marcus und seinem leiblichen Vater. Sie konnte es kaum glauben. Auf einmal war sie verunsichert. Sie würde noch etwas Zeit brauchen, um eine Strategie auszuarbeiten.
»Marcus kann zur Beobachtung über Nacht hierbleiben«, sagte sie zu Neil. »Gleich morgen früh komme ich her, und dann besprechen wir, wie wir in dieser Situation weiter verfahren.«
24
Elena verbrachte ein schreckliche Nacht im Haus ihrer Eltern. Sie war so froh, dass ihre Mutter sich am Abend zuvor um ihre beiden jüngeren Kinder gekümmert hatte und dass sie es übernommen hatte, Aldo anzufunken und ihm zu sagen, dass sie nicht nach Hause komme. Ihre Gedanken waren so in Aufruhr, dass sie kein Auge zumachte. Sie wusste, wenn Lyle der einzige Arzt war, der Marcus helfen konnte, so müsste sie das zulassen, doch dann brauchte sie einen Plan – dass er seinen eigenen Sohn behandelte, durfte er keinesfalls herausfinden. Aber wie sollte sie das anstellen? Elena kam die Idee, ihre Mutter könnte an ihrer Stelle ins Krankenhaus gehen. Den Namen Corradeo kannte Lyle natürlich nicht, aber was, wenn einer der Mitarbeiter im Krankenhaus von Luisa als Mrs. Fabrizia oder Luisa Fabrizia sprach; das würde ihm bestimmt auffallen. Dieses Risiko durfte sie nicht eingehen.
In ihrer Verzweiflung funkte Elena mitten in der Nacht Aldo an und fragte, ob er nicht ins Krankenhaus zu Marcus kommen könne, wenn der Junge vom Arzt untersucht würde. Sie erklärte ihm, sie werde in der Praxis gebraucht.
Aldos Reaktion war vorhersehbar gewesen. »Wenn Dr. Robinson dir nicht freigibt, dann kündige eben!«, fuhr er seine Frau an. »Du bist in erster Linie Mutter«, fügte er hinzu, um seinen Standpunkt vollends klarzumachen.
Schließlich wurde Elena bewusst, dass sie sich Lyle stellen musste. Irgendetwas würde ihr schon einfallen, wie sie verhindern konnte, dass er herausfand, wer der Vater von Marcus war. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie reagierte, wenn sie sich tatsächlich gegenüberstanden.
Es war noch sehr früh am Morgen, und die Dämmerung hatte den dunklen Himmel gerade erst in einen Hauch Farbe getunkt, als Elena in dem kleinen Krankenhaus mit den zwei Stationen ankam. Den Patienten, von denen Marcus der jüngste war, wurde gerade das Frühstück serviert. Marcus erzählte seiner Mutter, die sich zu ihm ans Bett setzte, er habe eine angenehme Nacht gehabt.
»Ich habe wirklich gut geschlafen«, sagte er, »wenn auch ein älterer Mann mit seinem Schnarchen fast das Dach weggefegt hätte.«
Deirdre hatte ihre Schicht beendet und wollte gerade nach Hause gehen.
»Sie können ganz beruhigt sein«, sagte sie und stellte Elena eine Tasse Tee und ein Stück Toast auf den Nachttisch, damit sie mit ihrem Sohn frühstücken konnte. »Essen Sie ein wenig. Das wird Ihnen guttun!« Elena war so nervös, dass sich ihr der Magen umdrehte, aber sie gab sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. »Ich weiß ja, Sie machen sich große Sorgen um Marcus, aber Sie sehen wirklich ganz elend aus, Elena«, bemerkte Deirdre und musterte Elena mit geübtem
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