Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
dahin hierbleiben, Dr. Thompson?«
»Ich will dich mindestens ein paar Tage lang hierbehalten«, erwiderte Neil. »Dr. MacAllister hat da so eine Idee, wie wir dir vielleicht helfen können.«
Elena begann so heftig zu zittern, dass sie das Wasser aus dem Glas, das sie in der Hand hielt, verschüttete. War Lyle tatsächlich einmal in der Woche ins Krankenhaus von Winton gekommen? Wie war es möglich gewesen, dass sie einander so nah gewesen waren und es nicht gewusst oder gespürt hatten? Sie konnte es einfach nicht fassen, so unglaublich erschien es ihr. Sie stellte ihr Wasserglas auf dem Nachttischchen ab, um es nicht fallen zu lassen. Irgendwie gelang es ihr, aufzustehen.
»Tut mir leid«, stammelte sie. »Ich … muss noch etwas erledigen. Ich … ich komme später noch mal wieder.«
Elena wusste nicht, wie sie es schaffte, die Station zu verlassen. Sie hörte Neil kaum, der ihr hinterherrief, ob alles in Ordnung sei. Sie hörte auch nicht, wie Deirdre dem Arzt erzählte, dass sie finde, Elena sehe bleich aus wie die Wand. Sie marschierte einfach nur weiter, immer weiter, ohne zu wissen, wohin sie gehen sollte. Sie wollte sich verstecken und ihre Gedanken sortieren, unmöglich konnte sie jetzt an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Auf der Straße kam sie an einigen Leuten vorbei, die sie ansprachen, aber sie hörte kein Wort von dem, was sie sagten.
Luisa half Luigi im Laden, als sie Elena durch das Schaufenster über die Straße auf ihr Haus zukommen und hineingehen sah. Sie sah auch die komischen Blicke, die andere Leute ihrer Tochter zuwarfen, also wusste sie, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
»Ich bin in ein paar Minuten wieder da, Luigi«, sagte Luisa zu ihrem Mann, der gerade einen Kunden bediente.
In dem Moment sah Luigi Elena ebenfalls. »Was ist los, Luisa?«, fragte er.
Er wusste, dass sein Enkel im Krankenhaus war, weil seine Frau ihm erzählt hatte, was passiert war, und er hatte vor, hinzugehen und nach ihm zu sehen, sobald er den Laden geschlossen hatte.
»Elena macht sich einfach Sorgen wegen Marcus. Ich will mal hören, was der Arzt gesagt hat, dann sage ich dir Bescheid.«
Luisa verließ den Laden und betrat das Haus durch die Hintertür. Sie traf Elena in der Küche an.
»Was ist los, Elena?«, fragte Luisa. Sie erschrak, als sie sah, in was für einem Zustand ihre Tochter war. Sie zitterte und war so bleich, wie eine Italienerin mit olivfarbenem Teint nur sein konnte. »Ist etwas mit Marcus? Ist alles in Ordnung mit ihm?«
Elena nickte, sprechen konnte sie nicht.
»Aber etwas stimmt doch nicht, Elena. Du siehst furchtbar aufgewühlt aus«, sagte Luisa und zog ihre Schürze aus. »Soll ich ins Krankenhaus gehen?«
Elena schüttelte heftig den Kopf. Sie kämpfte mit den Tränen. »Ich hab dir doch gesagt, meine Vergangenheit würde mich eines Tages einholen, Mamma«, flüsterte sie heiser.
Luisa sog die Luft ein und schaute zur Hintertür, um sicherzugehen, dass Luigi nicht hereinkam. »Was ist denn passiert?«
»Wie kann er denn nur hier sein?«, fragte Elena und vergrub das Gesicht in den Händen. »Wie ist das denn nur möglich?« Sie waren Tausende von Meilen von England weg, wo sie Lyle das letzte Mal gesehen hatte. »Wir sind so isoliert hier in Winton. Meilenweit weg von jeder Stadt. Wie ist es denn nur möglich, dass mich ausgerechnet hier meine Vergangenheit wieder einholt?«
Luisa war verwirrt. Sie sah, dass ihre Tochter so sehr litt, dass sie kurz vor einem Zusammenbruch stand. »Von wem redest du, Elena?«
Elena sah ihre Mutter an. Sie hatte ihr nie den Namen des Mannes genannt, von dem sie Marcus empfangen hatte. Dazu hatte es keinen Grund gegeben. Aber jetzt musste sie es ihr erzählen. Sie brauchte unbedingt den Rat ihrer Mutter.
»Dr. MacAllister. Ich rede von Dr. MacAllister.«
Einfach nur seinen Namen zu sagen brachte eine wahre Sturzflut von Erinnerungen mit sich. Fast jeden Tag dachte sie an Lyle, fast jedes Mal, wenn sie Marcus ansah. Doch im Augenblick beherrschte die Erinnerung daran, wie er ihr gesagt hatte, dass eine andere Frau von ihm schwanger sei, ihre Gedanken allein. Und der Schmerz, den sie spürte, war fast so intensiv wie damals, beinahe vierzehn Jahre zuvor.
Luisa runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht …«
»Du hast ihn kennengelernt, oder, Mamma?«
»Kennengelernt kann man nicht sagen, aber ich habe ihn mit Marcus gesehen«, antwortete Luisa, die sich jetzt erinnerte. »Er schien sehr sympathisch zu sein, und er hat
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