Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Blick. »Vielleicht sollten auch Sie sich mal von einem Arzt untersuchen lassen«, fügte sie hinzu.
»Mir geht es gut, Deirdre«, log Elena. »Ich habe schlecht geschlafen, ich bin einfach nur müde.« Sie versuchte, zur Bekräftigung ihrer Worte, zu lächeln.
»Sie arbeiten zu viel, erst in der Praxis bei meinem Onkel, und dann haben Sie noch so viel auf der Farm zu tun«, sagte Deirdre.
»Mir bleibt nichts anderes übrig«, erklärte Elena wahrheitsgemäß. »Die Farm wirft nicht immer Geld ab.«
»Es sind schlechte Zeiten für alle«, gab Deirdre zu. Ihr Verlobter war Farmer, also wusste sie das nur zu gut. »Aber jetzt muss ich wirklich gehen. Ich kann es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Meine Füße bringen mich um.«
»Haben Sie eine Ahnung, wann Dr. MacAllister hier sein wird?«, fragte Elena, als Deirdre sich verabschiedete, und zuckte bei ihren eigenen Worten zusammen. Nur schon Lyles Namen auszusprechen war eine Qual.
»Ich weiß nicht genau … Ach, da ist er ja.« Deirdre schaute zur Tür, die auf die Station führte, und über ihr rundliches Gesicht huschte ein Lächeln. »Dachte ich mir doch, dass Sie kommen, denn ich meine, vor ein paar Minuten ein Flugzeug gehört zu haben.« Auf einmal schienen ihre schmerzenden Füße vergessen, und sie hatte es gar nicht mehr so eilig, nach Hause zu kommen.
Elenas Herz wollte schier zerspringen. So früh hatte sie nicht mit Lyles Ankunft gerechnet. Sie hatte sich seelisch noch nicht darauf eingestellt, ihm gegenüberzutreten. Glücklicherweise saß sie mit dem Rücken zur Tür an Marcus’ Bett, so blieben ihr wenigstens ein paar Sekunden, um ihre Fassung zurückzuerlangen. Sie schaute auf Marcus und sah, dass seine Augen aufleuchteten, als er Lyle entdeckte. Das machte sie betrübt, denn sie hatte nie erlebt, dass er Aldo so ansah.
»Hallo, da bin ich wieder«, rief Lyle fröhlich, als er das Zimmer betrat. Er blieb am Fußende des Bettes stehen. Schnell drehte Elena sich zur Seite. Er sollte sie nicht gleich sehen.
»Hallo, Dr. MacAllister«, antwortete Marcus fröhlich.
»Schön, dich wiederzusehen, auch wenn ich gar nicht gern höre, dass du noch einen Krampfanfall hattest. Und das ist sicher deine Mutter«, hörte Elena Lyle sagen.
Allein der Klang seiner Stimme lähmte sie schon.
»Ja«, sagte Marcus. »Mamma, das ist Dr. MacAllister.«
Elena hörte Lyles Schritte, als er vom Fußende des Bettes zu ihr kam und sich neben sie stellte. Sie bekam kaum Luft.
»Guten Morgen, Mrs. …«, es entstand eine Pause, und Elena sah aus den Augenwinkeln, dass Lyle auf Marcus’ Krankenakte schaute, »… Corradeo«, sagte er. »Freut mich, Sie kennenzulernen. Sie haben einen prächtigen Sohn.« Während er redete, lächelte er Marcus an und streckte ihm die Hand hin. Marcus strahlte.
Elena bemühte sich, gleichmäßig Luft zu holen, aber die Brust war ihr so eng, dass sie nur ganz flach atmen konnte. Sie stand auf und betete, dass ihre Beine sie trugen. Langsam drehte sie sich um und sah den Mann an, der die Liebe ihres Lebens gewesen war. Lyle hatte ihr die Hand hingestreckt, ließ sie aber jetzt sichtlich erschüttert fallen.
Elenas Gedanken rasten. Marcus sollte nicht Zeuge ihres Gesprächs werden, denn Elena wusste, er würde anfangen, Fragen zu stellen, wenn Lyle verriet, dass sie sich schon in England kennengelernt hatten. Sie musste ohne ihren Sohn mit ihm reden.
»Kann ich kurz allein mit Ihnen sprechen, Doktor?«, bat sie, und an Marcus gewandt fügte sie hinzu: »Wir sind gleich wieder da. Iss dein Frühstück.«
Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte Elena sich zur Tür und ging auf den Flur hinaus. Ihr Mund war so trocken, dass sie glaubte, kein weiteres Wort mehr herauszubringen, und ihr Herz hämmerte, als wollte es ihr aus der Brust springen. Sie war sich bewusst, dass Deirdre, die mit ihrer Tasche aus dem Schwesternzimmer trat, sie verblüfft und fragend anschaute, als sie sich an die Wand lehnte, um nicht zu stürzen, und sie schüttelte den Kopf, um ihr zu signalisieren, dass sie keine Hilfe brauchte.
Elena konnte an nichts anderes denken als an Lyle. Er war immer noch so attraktiv wie früher, wenn nicht sogar noch attraktiver, und er war hier, in ihrer Nähe. Sie hätte Gott weiß was darum gegeben, unbewegt zu bleiben, aber sie kam nicht an gegen die Welle der Gefühle, die in ihr aufbrandeten und sie zu überwältigen drohten. Sie zwang sich, an ihren Sohn zu denken. Er musste an erster Stelle in ihrem Leben stehen
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