Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Geschöpf gewesen«, gab Alison zu bedenken. »Aber ich glaube, Dr. MacAllister, Sie sind in dem Punkt wohl nicht völlig objektiv«, fügte sie hinzu. »Und der Kamelritt ist höchstwahrscheinlich das Abenteuerlichste, was mein Verlobter je zuwege gebracht hat.«
Lyle lachte. »Ich bin sicher, das stimmt so nicht«, erwiderte er.
Elena schaute wieder aus dem Fenster. Lyle kannte Alisons Verlobten anscheinend sehr gut. Er sprach so fröhlich und unbeschwert über ihn. Sie musste an den Tag des Waffenstillstands denken, als sie und Lyle sich in Mrs. Blinkys Haus zum ersten Mal geliebt hatten. An dem Tag war sie mit Marcus schwanger geworden. Elena hielt den Kopf von Alison weggedreht. Die junge Pilotin sollte die Tränen nicht bemerken, die ihr übers Gesicht liefen.
Im Krankenhaus von Cloncurry veranlasste Lyle gleich die Röntgenaufnahmen für Marcus. Alison hatte sie vom Flughafen hingefahren und war dann ins Büro der Fliegenden Ärzte zurückgekehrt, um Papierkram im Zusammenhang mit dem Flugzeug zu erledigen. Sie hatte versprochen, sie für den Rückflug wieder abzuholen.
»Sollen wir nicht inzwischen eine Tasse Kaffee trinken gehen?«, schlug Lyle vor, nachdem Marcus auf einer Trage ins Röntgenzimmer gebracht worden war.
Elena zögerte. »Ich würde lieber hier warten …« Sie deutete auf das kleine Wartezimmer.
Lyle ging auf ihren schwachen Protest nicht ein, sondern führte sie den Flur zur Cafeteria hinunter. »Ein Kaffee täte dir sicher gut«, sagte er. »Du hast heute bestimmt noch keinen gehabt, habe ich Recht?«
Elena nickte und gab nach. In angespanntem Schweigen saßen sie da, während sie an ihrem Kaffee nippten.
»Marcus hat mir erzählt, dass er einen Bruder und eine Schwester hat«, sagte Lyle schließlich.
Elena nickte wieder, aber nun war sie auf der Hut. Sie wollte mit Lyle weder über ihre Familie noch über sonst etwas Persönliches reden.
»Marcus ist ein richtiger Prachtjunge. Ich glaube, er kommt ganz nach dir«, fügte Lyle hinzu.
Elena hatte den Eindruck, eine Spur von Traurigkeit in seinem Blick zu sehen, eine gewisse Wehmut vielleicht beim Gedanken an das, was hätte sein können. Aber schließlich hatte er sie ja wegen einer anderen Frau verlassen.
»Er ist ein wunderbarer Sohn. Ich bin sehr stolz auf ihn«, antwortete sie und schaute hinunter auf das karierte Tischtuch. Sie schwieg eine Weile, dann traute sie sich wieder, Lyle anzusehen. Er schaute aus dem Fenster der Cafeteria, als sei er in Gedanken plötzlich tausend Meilen weit weg. »Hast du einen Sohn oder eine Tochter bekommen, damals?«, erkundigte Elena sich, ärgerte sich jedoch im selben Moment, dass sie gefragt hatte.
»Einen Sohn«, antwortete Lyle. Er starrte mit einem seltsamen Gesichtsausdruck, den Elena nicht deuten konnte, in die Ferne.
»Er ist bestimmt auch ein prächtiger Bursche«, sagte sie und dachte, sein Sohn ist nur wenige Monate älter als Marcus und bestimmt das Ebenbild seines Vaters. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass die beiden Jungen Halbbrüder waren. Mit tiefem Schmerz im Blick wandte sich Lyle ihr jetzt wieder zu. »Stimmt was nicht, Lyle?«, fragte Elena.
»Vergangenes Jahr im Mai habe ich meinen Sohn verloren, Elena«, sagte Lyle, seine Stimme war vor Kummer ganz rau.
Elena hielt die Luft an, ihre Hand fuhr zu ihrem Mund. »O mein Gott! Das tut mir so leid, Lyle.«
»Es war die schlimmste Zeit meines Lebens«, gab Lyle zu. »Um ehrlich zu sein, ich weiß gar nicht, wie ich das überhaupt durchgestanden habe.«
»Was … ist denn passiert?«, fragte sie, fügte aber gleich an: »Entschuldige, du willst wahrscheinlich nicht darüber reden, das verstehe ich voll und ganz.«
Lyle holte tief Luft und seufzte gequält, dann sah er wieder aus dem Fenster. Es fiel ihm immer noch unglaublich schwer, über Jamie zu reden.
»An seinem zwölften Geburtstag fiel Jamie vom Fahrrad und wurde von einem Lieferwagen überfahren. Ich bin Arzt, aber ich konnte nichts mehr für ihn tun, Elena. Du hast ja keine Ahnung, wie hilflos und nutzlos ich mir vorkam.«
Elenas Gedanken waren in Aufruhr. Armer Lyle, dachte sie, wie kann ich dich nur trösten? Sie konnte sich die Tiefe seines Schmerzes kaum vorstellen. Allein schon der Gedanke, sie könne eines ihrer Kinder verlieren, war qualvoll.
»In der Situation hätten sich alle Eltern so gefühlt, Lyle«, sagte sie.
»Er hatte versprochen, nicht auf der Fahrbahn zu fahren … aber du weißt ja, wie Kinder sind. Sie haben einfach kein
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