Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
versucht zu schwindeln, dann beschloss sie jedoch, ihrem Mann die Wahrheit zu sagen. »Das war Dr. MacAllister«, sagte sie, in der Hoffnung, keinen erneuten Wutanfall heraufzubeschwören.
»Was wollte er denn?«
»Er war auf der Suche nach Marcus.«
»Wieso?«
Luigi wusste genau, wie die Dinge standen. Er hörte seine Frau jede Nacht beten, Elenas Leiden möge ein Ende haben. Er wusste, wie hart Elena arbeitete, tagsüber zu Hause mit Aldo und dann bis Mitternacht im Krankenhaus. Ohne allzu deutlich zu werden, hatte er Luisa gegenüber angedeutet, sie solle Elena doch ab und zu einen Eintopf oder ein Ragout bringen, damit sie nicht auch noch jeden Tag kochen müsse, ehe sie zur Arbeit ging. Er bemühte sich, Maria und Dominic nach der Schule und am Wochenende zu beschäftigen, damit sie ihrer Mutter nicht allzu viel Arbeit machten. Aber daran, wie Marcus seiner Mutter gegenüber empfand, konnte er nichts ändern, obwohl er sogar einen Versuch unternommen hatte, mit Marcus über Elena zu reden. Der Junge hatte sich völlig verschlossen.
»Ich weiß nicht, weshalb er Marcus sehen wollte«, gab Luisa zurück, »er hat es nicht gesagt. Aber er hat einen ziemlich entschlossenen Eindruck gemacht.«
Aldo saß oft am Fenster in ihrem Haus in der Patterson Street und beobachtete Marcus auf dem Nachhauseweg von der Schule. Manchmal machten ihn die Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben traurig, dann wieder schimpfte er vor sich hin, denn die Lügen, die Elena ihm aufgetischt hatte, verärgerten ihn einfach zu sehr. Dass sie mit einem anderen Mann intim geworden war, nagte mit verzehrender Wut an ihm. An den Tagen, an denen er von Gefühlen überwältigt wurde, zerschmiss er irgendetwas Wertvolles, das Elena gehörte, nur um sie zu ärgern.
Elena wusste immer, dass er wieder einmal einen besonders schlechten Tag gehabt hatte, wenn sie nachts nach ihrem Dienst nach Hause kam und Scherben oder etwas anderes Kaputtes fand. Immer wieder sagte er ihr auch, das Essen schmecke fürchterlich, gerade, wenn er wusste, dass sie es eigens für ihn gekocht hatte. Manchmal starrte er sie an, als wollte er sie erwürgen. Sie hielt sich normalerweise von ihm fern, wenn er in solch einer Stimmung war.
Als Aldo an diesem Nachmittag aus dem Fenster schaute, sah er Lyle die Straße herunterkommen. Allein schon sein Anblick erfüllte ihn mit Wut. Dann merkte er, dass Marcus mit einem Fußball aus der entgegengesetzten Richtung kam. Die beiden blieben stehen und sahen sich an. Nach einem kurzen Wortwechsel steuerten sie eine kleine Bank am Straßenrand an. Aldo sah, wie die beiden sich setzten. Er war so voller Bitterkeit, dass er die Gardine vom Fenster riss.
Lyle war erleichtert darüber, dass Marcus bereit war, mit ihm zu reden. Er hoffte, dieses Mal den richtigen Zeitpunkt getroffen zu haben. Lyle war sich so sicher, dass der Junge seine Mutter vermisste, er wirkte so in sich gekehrt. Vielleicht erschöpfte es ihn auch, gegen seine Gefühle anzukämpfen.
»Wie läuft es in der Schule?«, begann Lyle vorsichtig.
»Wir hatten gerade Prüfungen.«
»Hast du gut abgeschnitten?«
»Ja, mein Lehrer sagt, ich könne Ende nächsten Jahres aufs College gehen«, antwortete Marcus. Er hatte viel darüber nachgedacht, dass er bald wegziehen und studieren konnte.
»Willst du am Ende vielleicht Medizin studieren? Ich glaube wirklich, du hast das Zeug zu einem guten Arzt.«
Auch daran hatte Marcus schon gedacht, und es bedeutete ihm viel, dass Lyle ihm das zutraute. Überhaupt wunderte er sich über sich selbst, dass er der Einladung Lyles, mit ihm zu sprechen, gleich zugestimmt hatte. Aber ein wenig unbehaglich fühlte er sich doch. »Ich weiß noch nicht, was ich machen werde«, sagte er so kühl er konnte. »Worüber wollten Sie mit mir sprechen?«
»Ich finde, du bist jetzt alt genug, um zu erfahren, was genau damals passiert ist, als ich deine Mutter kennenlernte. Ich finde auch, du hast ein Recht darauf, die ganze Wahrheit zu hören.«
»Ich kenne die Wahrheit schon. Sie haben meine Mutter geschwängert und sie dann verlassen. Und dann heiratete sie meinen …« Beinahe hätte er Papà gesagt. »Sie hat Aldo Corradeo geheiratet und ihm nicht die Wahrheit gesagt. Und mir hat sie die Wahrheit auch nicht gesagt. Was sonst gibt es da zu wissen?«
»Eigentlich ziemlich viel. Wenn du erst einmal ernsthafte Beziehungen mit Frauen eingehst, Marcus, wirst du herausfinden, dass das Leben manchmal ganz schön kompliziert werden kann.« Das hatte
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