Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
dann arrangierte ihr Vater die Ehe mit Aldo. Du musst zu verstehen versuchen, in was für großer Angst sie lebte, als sie herausfand, dass sie schwanger mit dir war, Marcus. Hätten ihre Eltern sie enterbt, und das hätten sie bestimmt getan, wäre sie in Blackpool ganz allein mit ihrem Baby zurückgeblieben. Und weil die ganzen Soldaten aus dem Krieg zurückkamen und nach Arbeit suchten, waren Jobs schwer zu finden. Zwölf-Stunden-Schichten im Krankenhaus hätte sie nicht mehr übernehmen können, denn es war ja keiner da, der sich um dich gekümmert hätte. Höchstwahrscheinlich wäre sie mit einem winzigen Baby auf der Straße gelandet. Aus lauter Verzweiflung entschied sie sich für die beste Lösung. Ledige Mütter werden heute aus der Gesellschaft ausgestoßen.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich meine Nonna nicht um Mamma gekümmert hätte. Sie hätte ihr bestimmt geholfen.«
»Das hätte sie sicher gewollt, aber dein Großvater hätte es nicht erlaubt. Anständige italienische Mädchen wurden keine ledigen Mütter. Dass es so zugeht in der Gesellschaft, ist nicht recht, aber so war es nun einmal, gerade in italienischen Familien. Selbst heute noch stehen viele Familien nicht zu ledigen schwangeren Töchtern.«
Marcus wusste, dass viel Wahres war an dem, was Lyle gesagt hatte. Sein Großvater hatte sich von seiner Mamma abgewandt, weil sie ihn belogen hatte. Er glaubte, er wurde inzwischen etwas milder, aber anfangs hatte er sie in seinem Haus nicht mehr geduldet.
»Deine Mutter hat keine Schuld an alldem«, sagte Lyle. »Ich habe sie auf die schlimmstmögliche Weise im Stich gelassen. Ich verließ sie, um eine andere zu heiraten. Wenn du jemanden hassen willst für das, was passiert ist, dann hasse mich. Aber du solltest wissen, dass deine Mutter dich sehr liebt, Marcus. Versuch, dir vor Augen zu führen, was für eine Angst sie hatte, dir die Wahrheit zu sagen. Ich bin sicher, das wollte sie viele Male.«
»Und wieso hat sie es dann nicht getan?«
»Ich nehme an, sie wollte warten, bis du alt genug wärst, das alles zu verstehen. Aber ich denke, inzwischen bist du alt genug. Denk bitte nach über das, was ich dir gesagt habe. Wenn du noch Fragen hast, werde ich alles wahrheitsgemäß beantworten.«
Marcus stand auf. »Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte er.
Lyle konnte nicht erkennen, was sein Sohn dachte, er drehte sich um und wollte gehen. »Marcus«, rief er.
»Ja?«, antwortete der Junge und sah sich noch einmal um.
»Ich weiß, du willst keine Beziehung zu mir, aber solltest du mich je brauchen, ich bin nur einen Funkruf weit entfernt.«
Marcus nickte und machte sich dann auf den Nachhauseweg.
Lyle sah ihn fortgehen, und das Herz tat ihm weh. Er hatte einen Sohn, aber auch wieder keinen. Er hätte nie gedacht, einmal in solch eine Lage zu kommen.
42
Schon seit einigen Tagen war Aldo ganz besonders übellaunig, und Elena befand sich am Rande eines Zusammenbruchs. Als der Tag wieder damit begann, dass er Tee verschüttet und sich verbrannt hatte und dann in einem Wutanfall darüber sein Frühstück auf den Boden warf, musste sie ihre ganze Willenskraft aufbringen, um geduldig zu bleiben. Sie wollte helfen, indem sie versuchte, den Boden aufzuwischen und ihm ein kaltes Tuch auf die verbrannte Haut zu legen, aber er schlug ihre Hand weg. Mittags verschmähte Aldo das Omelett, das Elena für ihn zubereitet hatte.
»Ich brauche dich nicht, ich brauche kein Mitleid«, brüllte er. »Ich weiß, dass du nur auf den Tag wartest, an dem du mich verlassen kannst. Du bleibst nur aus Pflichtgefühl bei mir, während du in Wirklichkeit einen anderen liebst.« Da Elena nicht wusste, dass Aldo Lyle und Marcus zusammen gesehen hatte, wusste sie auch nicht, warum er auf einmal wieder all diese Dinge zu ihr sagte.
Als der Nachmittag kam, hatte sie genug. »Ich würde dich wirklich verlassen, wenn ich irgendwohin könnte«, rief sie ihm verbittert zu. »Nichts, was ich tue, ist gut genug für dich. Du bist fest entschlossen, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen, weil du deine Situation nicht akzeptieren kannst.« Es sah ihr nicht ähnlich, grausam zu sein, aber ihre Toleranzschwelle war so niedrig wie nie zuvor.
»Schließlich bin ich wegen dir in dieser Situation«, rief Aldo anklagend zurück. Voller Bitterkeit sah er Elena an.
»Nein, du sitzt im Rollstuhl, weil du vom Windmühlenturm gefallen bist. Du bist, wie du bist, weil du ein garstiger, bösartiger alter Mann bist.« Mit
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