Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
Marcus bereits festgestellt. Ein Mädchen aus der Schule gefiel ihm gut, aber als er sich mal mit ihr allein treffen wollte, war sie ihm aus dem Weg gegangen. Sie meinte, sie würde ihn auch mögen, glaube aber, dass er ein anderes Mädchen in der Klasse lieber mochte. Er hatte versucht, das in Ordnung zu bringen, hatte aber festgestellt, dass es viel schwieriger war, eine Beziehung zu einem Mädchen zu haben, als er sich das vorgestellt hatte. »Würdest du dir die ganze Geschichte anhören? Dann kannst du immer noch entscheiden, wie du über die Sache denkst.«
»Woher soll ich wissen, dass Sie mir die ganze Wahrheit erzählen?«, fragte Marcus unverblümt.
»Ich gebe dir mein Wort, dass ich so ehrlich zu dir bin, wie ich nur sein kann«, erwiderte Lyle.
Marcus sah Lyle in die Augen und wog seine Worte ab. Er kam zu dem Schluss, dass Lyle ehrlich war, und so nickte er dann. »In Ordnung«, sagte er.
»Im Krieg«, begann Lyle, »habe ich in einem Hospital in Dumfries gearbeitet, das ist meine Heimatstadt in Schottland. Viele Ärzte wurden ins Victoria Hospital nach Blackpool abkommandiert, weil sie dort mit verwundeten Soldaten überschwemmt wurden, die aus dem Krieg zurückkamen. Das war 1918. Damals traf ich mich schon seit einigen Jahren mit Millie Evans. Ich habe Millie nie direkt einen Heiratsantrag gemacht, aber es sah ganz so aus, als sollte unsere Beziehung schließlich in eine Ehe münden. Wir hatten bis dahin nie miteinander geschlafen, weil wir warten wollten, bis wir Mann und Frau wären.« Marcus erschrak, weil Lyle ihm derart persönliche Einzelheiten erzählte, aber dadurch bekam er auch das Gefühl, wie ein Erwachsener behandelt zu werden. Das wusste er zu schätzen. Er beschloss, über alles, was Lyle ihm sagte, nachzudenken und es unvoreingenommen zu betrachten. »Teile von England waren heftigen Bombenangriffen ausgesetzt, und so wussten Millie und ich, dass die Möglichkeit bestand, ich könnte nie mehr zurückkommen. Dass wir uns womöglich nie wiedersehen würden, veränderte alles, und in der Nacht, bevor ich abreiste, liebten wir uns. Dann ging ich weg, ohne zu wissen, wann und ob überhaupt wir uns wiederbegegnen würden. Wir hatten keine Ahnung, wie lange der Krieg noch dauerte. Keiner wusste das. Deine Mutter war Krankenschwester im Victoria Hospital. Als ich sie zum ersten Mal sah, verschlug es mir den Atem. Ich weiß nicht, ob du schon mal ein Mädchen angeschaut hast und dir dabei die Beine schwach wurden und dein Herz schneller schlug, aber so erging es mir, wann immer ich deine Mutter sah.« Marcus schwieg, aber er errötete, also war Lyle klar, dass der Junge ihn verstand. »Elena ist äußerlich schön, aber sie ist noch schöner von ihrem Wesen her. Ich bewunderte ihre Güte und die Hingabe, mit der sie sich um ihre Patienten kümmerte. Es war nicht ungewöhnlich, dass man sie morgens schlafend auf einem Stuhl neben einem Patienten antraf, wo sie die ganze Nacht gesessen hatte. Viele der Männer starben an ihren fürchterlichen Verletzungen, aber deine Mutter saß bei ihnen, sogar nach einer anstrengenden Zwölf-Stunden-Schicht. Manche dieser Soldaten waren nur wenige Jahre älter als du und zu Tode erschrocken. Sie las ihnen vor, um sie von ihren Schmerzen und ihrem Leid abzulenken. Sie schrieb Briefe nach Hause für die Männer, die das selbst nicht mehr konnten. Die meisten vom Personal konnten es kaum abwarten, nach einer Schicht endlich nach Hause zu kommen, und sie war wirklich die große Ausnahme. Wir arbeiteten oft zusammen, und bald stellte ich fest, dass ich mich Hals über Kopf in sie verliebt hatte. Ich dachte, ich hätte Millie geliebt, aber ich hatte keine Ahnung, dass die Art Liebe, die ich für deine Mutter empfand, überhaupt existierte. Dieses Gefühl ließ sich mit nichts anderem vergleichen. Als mir klar wurde, dass sie genauso empfand, wusste ich, ich musste meine Beziehung zu Millie sofort beenden. Ich wollte den Rest meines Lebens mit deiner Mutter verbringen. Dessen war ich mir ganz sicher, denn so glücklich war ich nie zuvor gewesen. Sie wusste, ihre Eltern würden sich aufregen, denn ich war weder Italiener noch Katholik. Ich wäre zum Katholizismus übergetreten, hätten ihre Eltern das verlangt, aber deine Mutter stellte sich bereits darauf ein, dass sie enterbt würde, weil sie sich mit einem schottischen Protestanten traf, und aus dem Haus verwiesen. Trotzdem wollten wir zusammenbleiben, also fuhr ich nach Hause, um Millie die Wahrheit zu
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