Der Glanz des Südsterns: Roman (German Edition)
von ihm. Für Reparaturen am Haus blieb keine Zeit. Elena tat, was sie konnte, um die drei kleinen Räume bewohnbar zu machen, aber mit dem Herzen war sie nicht bei der Sache. An den meisten Tagen weinte sie sich die Augen aus dem Kopf. Nur wenn ihre Eltern zum Tee kamen, setzte sie eine fröhliche Miene auf.
Jetzt war der zweite Tag im Monat August, der letzte Wintermonat in Australien, und nach Luisas Berechnungen musste die Geburt von Elenas Baby unmittelbar bevorstehen. Aldo war irgendwo auf ihrem großen Besitz mit Billy-Ray unterwegs, um Vieh zusammenzutreiben, er ahnte nicht, dass das Baby bald kommen würde. Doch Elena und Luisa hatten sich einen Plan zurechtgelegt. Sobald bei Elena die Wehen einsetzten, sollte sie sich über Funk im Gemischtwarenladen im Ort melden, der neben der Fleischerei Fabrizia lag. Sie würde dem Ladenbesitzer Mr. Kestle sagen, sie habe eine Botschaft für ihre Mutter, die daraufhin zur Farm herauskommen wollte. Der Plan bereitete Elena einige Sorgen, denn sie hatte Angst, das Baby könnte kommen, wenn sie allein war, aber Luisa hatte ihr versichert, dass es bei einer Erstgeburt niemals allzu schnell ging.
Es waren milde zwanzig Grad im Schatten, aber wenn man sich länger als nur ein paar Minuten draußen aufhielt, konnte die Sonne schon recht unangenehm werden – der Frühling schien sich in diesem Jahr früh anzukündigen. Nachts sank die Temperatur allerdings auf knapp zehn Grad, wobei es sich wenigstens einigermaßen gut schlafen ließ. Das Winterklima war angenehm, verglichen mit dem Sommer, von dem Elena schon wusste, dass das Thermometer tagsüber auf vierzig Grad klettern konnte, selbst nachts würden immer noch zwanzig Grad erreicht. Bei dieser Hitze war es kein Wunder, dass die Wandfarbe abblätterte, das Holz brüchig und das Metall so heiß wurde, dass es verbog.
Elena wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann ließ sie ihre Gedanken wieder in die Vergangenheit schweifen. Im Januar dieses Jahres hatten sie England mit dem Schiff verlassen, einem Ozeandampfer der White Star Line. Bei ihrer Abreise aus Southampton hatten Minusgrade geherrscht, aber sie waren im März in Australien eingetroffen und hatten die letzten Ausläufer eines besonders langen, heißen Sommers erlebt.
Die Reise war für Elena ein Albtraum gewesen. Sie hatte ihre morgendliche Übelkeit überspielt, indem sie behauptete, seekrank zu sein, aber schließlich hatte sie nicht mehr gewusst, weshalb es ihr so schlecht ging. Sie wollte nur noch sterben, und sei es lediglich, um ihrem Leiden ein Ende zu setzen. Mindestens die Hälfte der siebenwöchigen Schiffsfahrt bekam sie weder das Oberdeck noch die See zu Gesicht, stattdessen verbrachte sie endlose Tage in ihrer Koje mit einem Eimer neben sich. Elena bemühte sich, wenigstens einmal am Tag etwas zu essen, aber sie konnte nichts bei sich behalten. Sie hatte so stark abgenommen, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte.
Auch der Gedanke daran, dass sie ihr Ziel irgendwann erreichen würden, tröstete Elena nicht – eine glückliche Zukunft in Australien konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Nicht mit ihrem gebrochenen Herzen. Vor ihrer Abreise nach Australien hatte Elena mit Schrecken daran gedacht, wie es wohl wäre, das Land zu betreten, das ihre neue Heimat werden sollte, aber nach den langen Wochen auf See wollte sie nur noch herunter vom Schiff, ihr Gleichgewicht wiederfinden und sich endlich nicht mehr so elend fühlen.
Elenas Freude darüber, wieder an Land zu sein, war von kurzer Dauer. Das Schiff hatte an der Nordostküste Australiens angelegt, in Townsville, einem Ort, in dem Zuckerrohr angebaut wurde. Dort hatten sie die Nacht in einem Hotel verbracht. Sie schliefen unter Moskitonetzen, und die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass Elena meinte zu ersticken. Am nächsten Morgen nahmen sie den Frühzug in die ehemalige Goldgräberstadt Charters Towers, wo am Heiligen Abend des Jahres 1871 ein Aborigine-Junge namens Jupiter Mosman Gold gefunden hatte.
Jupiter war mit einer Gruppe Goldsucher unterwegs, als der Blitz eines Sommergewitters ihre Pferde scheuen ließ. Die Tiere gingen durch. Auf der Suche nach den Pferden fand er einen Goldklumpen in einem ausgetrockneten Bachbett nahe Towers Hill. Es folgten wirtschaftlich segensreiche Jahre, doch der Erste Weltkrieg hatte der Zeit des Wohlstands ein Ende gemacht, da Arbeitskräfte nur noch schwer zu bekommen waren. In bereits bestehenden Minen kam es zu
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