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Der Glanzrappe

Der Glanzrappe

Titel: Der Glanzrappe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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sie aufgetaucht waren.
    Als er zu sich kam, war die Morgenluft feucht, Nebel lag über den Getreidefeldern. Während die Stadt noch schlief, eilte er im grauen Morgenlicht durch die Gassen. Die Rinnsteine waren trocken, doch von den Wänden und den Zäunen perlte Feuchtigkeit, als wäre es der letzte Frühjahrstau. Ein scharfer Nordostwind fegte über das Pfla s ter, blies ihm an jeder Ecke feuchtwarm entgegen. Er war gut bewaffnet und verspürte weder Hunger noch Durst. Auf seinen Kleidern bildete sich Schimmel, sie vermoderten ihm auf dem Körper, doch das störte ihn nicht. Sein geschwollener Knöchel tat weh, schmerzte bis zur Hüfte hinauf. Sein dünner Körper bestand nur noch aus Haut und Knochen, aber er scherte sich auch darum nicht.
    Im hinteren Teil des ausgebrannten Bahnhofsgebäudes standen die Lokomotive, daneben Güterwaggons und verbogene Drehgestelle, und alles war in beißenden, feuchten Rauch gehüllt. Die Straßen waren von Trümmern und Kleiderfetzen übersät und mit schwarzen, geronnenen Rinnsalen überzogen, und er wußte, das war das Blut der gefallenen Soldaten. Er brauchte ein Pferd, und er fand eines, ein cremefarbenes Arbeitspferd mit knotigen Schultern, das einen zertrampelten Gemüsegarten abweidete. Es trug noch sein Kummet, und das zerrissene Geschirr hing von seinem Hals herab und schleifte am Boden. Es war ein verletztes, bedauernswertes Tier, von den Stallknechten gehetzt und im Stich gelassen, aber es war robust, hatte klare Augen und atmete gleichmäßig.
    Er stieg auf, klatschte dem Pferd auf die Hinterhand und drückte ihm die Hacken in die Flanken. Das Tier v erstand zwar allmählich, was es tun sollte, blieb aber zunächst störrisch und steif wie ein Holzklotz. Er zerrte an dem behelfsmäßigen Zaumzeug, das er zusammengebastelt hatte, und fluchte laut, und das verstand das Tier, und es setzte sich in Bewegung. Als es die Schienen überquerte, knirschten die breiten Hufe auf dem Schotter zwischen den Schwellen. Jenseits des Bahndamms war ein tiefer Graben, und als sie hineinrutschten, ging das Tier instinktiv auf die Hinterhand und kletterte auf der anderen Seite wieder hoch. Sie erreichten das Ödland hinter dem Bahnhof und dem Gleisbett, das mit Dornengestrüpp und Brennesseln zugewuchert war, und das cremefarbene Pferd zeigte weder Angst noch Scheu, sondern preschte geradewegs hindurch.
    Hier senkte sich das von Nebelschwaden bedeckte Land hinab zum Fluß, und der Wind blies in heißen Böen über seinen Kopf hinweg. Das Pferd verlangsamte den Schritt und setzte behutsam Huf vor Huf, als es bis zur Brust in der weißen Watte verschwand. Er gab ihm einen Tritt in die Flanke, doch das Tier ging nicht schneller auf dem unsichtbaren, unebenen Grund. Am Osthimmel tauchte ein breiter blaßsilberner Streifen auf, der den Anbruch des neuen Tags erahnen ließ. Dann stieg plötzlich mit einem Schwall feuchter Luft der süßliche Geruch frischer Leichen in seine Nase.
    Sein Magen hob sich, und er erbrach eine klare Flüssigkeit. Er beugte sich zwar zur Seite, aber trotzdem beschmutzte er Knie und Hosenbein. Als er die Augen wieder öffnete, sah er zwischen den Nebelschwaden den Soldaten mit dem dünnen Bart und der Goldrandbrille, und dann auch den freundlichen alten Major mit seiner Wachmannschaft. Sein Gesicht war grau, und der große Kopf wirkte durch die verschobenen Knochen mißgebildet. Rings um ihn lagen Männer in Blau, die zur Bestattung hierher gekarrt worden waren und Robey so abstrus erschienen wie am Strand verendete Fische. Sie waren tot, lagen reglos da, das Gesicht himmelwärts und die Augen offen, als wollten sie ihn fortreiten sehen, als hätten sie eigens deshalb an diesem Ort eine Pause eingelegt, ehe sie ihre Reise in die Ewigkeit antraten. Er wußte jetzt, wenn er einmal tot war, durfte er die Augen nicht schließen, auf keinen Fall, denn so machten es die Toten.
    Als er das Leichenfeld verließ, führte ihn das cremefarbene Pferd auf einem schmalen Pfad in einen Wald, und kurz darauf vernahm er von weitem zwischen den Bäumen ein Wiehern und hielt an. Der Nebel war so dicht, daß er nichts erkennen konnte, und er beugte sich vor, reckte den Hals und versuchte, mit den Händen den Nebel vor den Augen beiseite zu fächeln.
    Das Wiehern ertönte erneut, diesmal näher, und jetzt bekam es Gestalt, und er sah, daß es der Glanzrappe war. Der Hengst hatte gespürt, daß er auf ihn zukam, und jetzt schnaubte er und scharrte mit den Hufen. Er warf den Kopf zurück und

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