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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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Martinverzog das Gesicht und legte die Knochensäge beiseite. Vielleicht war es ratsam, dem Tier zur Seite zu stehen, bevor diese unberechenbare Furie ihm etwas antat.
    Er kletterte vom Wagen und hielt nach Katharina Ausschau, die nun abrupt verstummt war. Eris schnaufte leise neben ihm. Martin kraulte das Maul der Stute.
    Hinter seinem Rücken vernahm er aufs neue Katharinas Stimme. Doch plötzlich gab sie kein Gekeife von sich, sondern ein Wehklagen. Katharina heulte bitterlich auf.
    Martin drehte sich um und eilte auf sie zu. Als er um den Wagen lief, sah er, daß sie Thea im Arm hielt. Katharina strich mit den Fingern über blutbesudeltes Haar. Das Blut klebte überall – in Theas Gesicht, an ihrer Kleidung, an den Händen und sogar an ihren Füßen.
    »O Gott, nein!« rief Katharina. »Nein, nein!«
    Für einen Moment befürchtete Martin, daß Thea in Katharinas Armen dem Tode nahe war, doch als er auf sie zukam, hob sie beschwichtigend die Hände. Sie mußte die Angst in seinen Augen erkannt haben und beruhigte ihn mit den Worten: »Hab keine Sorge, es ist nicht mein Blut.«
    Auch wenn sie nicht ernstlich verletzt sein mochte, stellte er doch fest, daß sie mißhandelt worden war. Ihr rechtes Auge war ebenso geschwollen wie ihre Lippen, und als sie den Mund verzog, fiel ihm eine Zahnlücke auf.
    Behutsam schloß Martin sie in die Arme und drückte sie an sich. Ihr Kopf schmiegte sich an seinen Hals, und dann brach sie in Tränen aus.
    »Dir kann nichts mehr passieren«, versicherte er ihr. Über Theas Kopf hinweg schaute er zu Katharina, die ihm bedeutete, daß sie keine Ahnung hatte, was mit Thea geschehen war.
    »Schaff Wasser herbei, Katharina«, sagte er. »Wir müssen das Blut abwaschen.«
    Katharina nickte und machte sich auf den Weg, wobei sie zuvor noch einige Kinder und ein gutes Dutzend Troßleutedavonscheuchte, die Theas unheilvoller Anblick angelockt hatte.
    Thea zitterte am ganzen Körper. Er führte sie unter das Zeltdach, wo sie vor den neugierigen Blicken geschützt war. Mit einem Tuch wischte er ihr Gesicht ab und behandelte die Schwellung mit einer heilenden Salbe.
    »Bist du sicher, daß es nicht dein Blut ist?« wollte er wissen.
    Thea nickte, doch sie beugte sich vor und preßte eine Hand auf ihren Unterleib. Schmerzhaft verzog sie das Gesicht.
    »Sie haben mich geschlagen und getreten«, brachte sie hervor.
    »Wer? Wer hat dir das angetan?« Martin befürchtete, daß er die Antwort auf diese Frage bereits kannte.
    »Rupert und Berthold«, bestätigte sie seinen Verdacht. »Sie waren so plötzlich da, als hätte ein böser Zauber sie auftauchen lassen. Die beiden schlugen auf mich ein und schleppten mich fort.«
    Thea hustete und krümmte sich wieder zusammen. »Ru pert war wie rasend, weil wir seinen Bruder bedroht haben. Er prügelte mich und dann …, dann hat er mich geschändet.«
    »Gütiger Gott.« Martin schauderte. »Was werden diese Teufel uns noch antun?« Er nahm Theas Hand und küßte sanft ihre Fingerkuppen.
    »All das Blut – woher stammt das?« wollte er wissen.
    »Es ist Bertholds Blut. Ich habe ihn mit seinem eigenen Dolch erstochen, nachdem Rupert von mir abgelassen und sich entfernt hatte. So bin ich ihm entkommen. Ansonsten …«
    »… hätten sie dich getötet«, beendete Martin den Satz. Er fühlte sich elendig und grämte sich darüber, daß er Thea ohne Schutz fortgeschickt hatte.
    »Wo ist es geschehen?« fragte er.
    Thea beschrieb ihm den Weg zu der Windmühle, die sich etwa eine halbe Meile vom Lager entfernt befand. Dann betrachtete sie ihn skeptisch und runzelte die Stirn.
    »Was hast du vor?«
    »Wenn Rupert sich noch in der Mühle aufhält, werde ich dafür Sorge tragen, daß er uns niemals wieder gefährlich werden kann.«
    Martin erhob sich und trat aus dem Zelt. Er kletterte auf den Wagen und öffnete eine Kiste, in der sich seine Pistole und das nötige Zubehör befanden. Nach dem mißlungenen Racheakt an Berthold hatte er vermutet, daß er die Waffe vielleicht niemals wieder gebrauchen würde. Doch nun war er eines besseren belehrt worden. Er trug die Kiste vom Wagen, stellte sie neben Eris ab und machte die Pistole schußbereit.
    Während er noch damit beschäftigt war, die Waffe zu laden, kehrte Katharina mit dem Wasserkübel zurück, stellte ihn vor Martin ab und runzelte die Stirn.
    »Welche Torheit bereitest du nun wieder vor? Ist nicht schon genug Unheil über uns gekommen?«
    Sie hatten mit Katharina nie über Rupert und Berthold gesprochen.

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