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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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schon mit Gewalt genommen hatte.
    Der Gedanke erregte ihn, doch er wurde schon bald abgelenkt, als er dröhnendes Geschützfeuer aus der Ferne vernahm. In den vergangenen Tagen hatten die Kanonen der Kaiserlichen die Stadt nur noch vereinzelt unter Beschuß genommen, nun aber schwoll der Lärm plötzlich wieder zu einem regelrechten Stakkato an. Rupert reckte seinen Kopf aus dem Fenster, ohne allerdings im trüben Morgenlicht etwas zu erkennen. Der Lärm der Geschütze hielt jedoch unvermindert an.
    Die Sonne schob sich ganz über den Horizont. Rupert machte in Höhe des nördlichen Stadttores eine Rauchfahne aus. Auch aufgeregte Stimmen waren nun zu hören sowie die Schritte der Männer, die zum Ort des Geschehens eilten.
    Der Kanonendonner hatte inzwischen die meisten Männer in der Kammer geweckt. Sie drängten sich neben Rupert an das Fenster und wollten wissen, was vor sich ging.
    »Eine Attacke der Kaiserlichen«, rief Rupert. »Sie scheinen die Häuser an der Hohen Pforte in Brand gesetzt zu haben.« Er wandte sich um und musterte Berthold undWenzel. »Ihr habt hoffentlich nicht vergessen, worüber wir gestern gesprochen haben.«
    »Es ist die Zeit gekommen, an unseren Sold zu denken«, erwiderte Wenzel und lachte.
    Rupert nickte und führte Berthold und Wenzel auf den Korridor. Von der Straße drangen die Rufe der Offiziere zu ihnen, die ihre Männer aufforderten, zu den Waffen zu greifen und die Stadt zu verteidigen.
    Rupert, Berthold und Wenzel rührten sich nicht.
    »Wir wissen nicht, ob Magdeburg wirklich fällt«, raunte Rupert im Tonfall eines Verschwörers. »Aber sollten die Kaiserlichen die Oberhand gewinnen und die Stadt plündern, werden wir uns ihnen anschließen und ebenfalls Beute machen.«
    Weder Wenzel noch Berthold widersprachen ihm.
     
    Martin hatte bereits früh am Morgen in seiner Werkstatt die Arbeit aufgenommen, wo er die braunen und grünen Butzenscheiben zuschnitt, die er später in die schmalen Nischen eines Hauses nahe der Johanniskirche einsetzen würde. Mit sicherer Hand zeichnete er mit den Schablonen ein Dreieck auf das metallisch schimmernde Butzenglas. Es war der einzige Auftrag, den er in dieser Woche erhalten hatte. Weitaus betrüblicher als die miserable Auftragslage stimmte es Martin jedoch, daß er sich von dieser Arbeit völlig unterfordert fühlte. Jeder Lehrjunge war in der Lage, eine Butzenscheibe mit dem Schneidediamanten in die gewünschte Form zu bringen.
    Während Martin das Glas zuschnitt, drangen dumpfe Kanonenschüsse an sein Ohr. Die feindlichen Geschütze feuerten an diesem Morgen weitaus heftiger als in den vergangenen Tagen. Mehrmals legte Martin den Schneidediamanten aus der Hand und lauschte nervös dem Geschützdonner, der vor allem aus nördlicher Richtung zu ihm drang.
    Er arbeitete weiter, doch schon bald darauf ließ er die Werkzeuge endgültig ruhen, öffnete das Fenster und verfolgte, wie eine Schar Bewaffneter die Straße entlanglief. Bei den meisten handelte es sich um Söldner oder Männer der Stadtwehr, die Piken, Degen oder Musketen mit sich führten. Einige trugen polierte Eisenharnische und Sturmhauben, doch es befanden sich auch einfache Bürger unter ihnen, die sich ohne jeden Schutz und nur mit Äxten und Knüppeln bewaffnet, den Soldaten anschlossen. Andere wiederum, vor allem Frauen und Kinder, flohen in die entgegengesetzte Richtung.
    Martin hatte gehofft, die Kaiserlichen wären nicht mehr in der Lage, einen weiteren Angriff auszuführen, doch anscheinend hatte er sich geirrt. Tilly setzte alles auf eine Karte und zwang die Stadt, ihre letzten Reserven zu mobilisieren, um die Attacke abzuwehren.
    Mehrere Reiter trieben die Männer weiter und riefen den Leuten in den Häusern zu, sich zu bewaffnen und ihnen zu folgen. Martin überlegte, ob er seinen Degen an sich nehmen und den Kaiserlichen entgegentreten sollte, aber da er vor allem um Sophia besorgt war, entschied er sich, bei seiner Frau zu bleiben.
    Eine Weile blieb er am Fenster stehen, dann trat er auf die Straße und griff sich einen flüchtenden jungen Burschen.
    »Was ist geschehen?« rief Martin.
    Der Bursche wirkte gehetzt, er schüttelte Martin ab und entgegnete: »Die Hohe Pforte – sie sind durch die Hohe Pforte in die Stadt gedrungen!«
    Dann rannte der Junge weiter und verschwand in der Menge. Martin wandte sich um und blickte die Straße hinauf. Aus Richtung der Hohen Pforte stieg eine Rauchsäule in den wolkenverhangenen Himmel. Die Kaiserlichen mußten die Häuser

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