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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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das Leben gerettet und sich aufopferungsvoll um ihn gekümmert hatte, als er an Sophias Verlust fast zerbrochen wäre. Sebastian zeigte sich erstaunt, daß Thea ihn davon überzeugt hatte, sich von einem Feldscher im Handwerk der Wundchirurgie unterrichten zu lassen. Schließlich sprach er über Conrad, seinen Mentor und Freund, der ihn nun verachtete, weil er am schicksalhaften Tag der Schlacht von Breitenfeld zum Mörder geworden war. Es fiel Martin schwer, seinem Bruder von dem Vorfall mit Wenzel zu berichten – ihm zu beschreiben, welche Erfüllung es ihm bereitet hatte, einen der Mörder seiner Frau zu quälen und zu töten, doch er beschönigte nichts.
    Martin hatte erwartet, daß dieses Geständnis seinen Bruder schockieren würde. Daß er ihm heftige Vorwürfe machen und zur Buße auffordern würde. Aber Sebastian rieb sich nur nachdenklich das Kinn und meinte dann: »Das also war der Zweck deiner Reise: Du hattest es dir in den Kopf gesetzt, Rupert und Berthold zu finden, um auch an ihnen Vergeltung zu üben.«
    »Ich bin ihnen bis nach Prag gefolgt, dann nach Gitschin,bevor mich mein Weg nach Halberstadt führte, wo ich ihre Spur verlor.«
    »Du hast es demnach aufgegeben, nach ihnen zu suchen.«
    »Ich habe mich damit abgefunden, daß es keinen Hinweis auf ihren weiteren Verbleib gibt.«
    Sebastian nahm die Füße vom Ofen und schenkte ihnen Wein nach. »Ich kann nicht gutheißen, daß du diesen Mann im Lazarett getötet hast, aber ich verstehe deine Wut. Mögen unsere Vettern für diese Schandtat auf ewig in den Feuern der Hölle brennen.« Er leerte den halben Pokal. »Was hast du vor, nun, wo deine Suche beendet ist?«
    Martin hob die Schultern. »Wahrscheinlich werde ich zum Troß zurückkehren.«
    Sebastian schmunzelte. »Diese Thea fehlt dir.«
    »Mag sein«, erwiderte Martin.
    »Du verdankst ihr viel. Und mir scheint, deine Augen leuchten, wenn du von ihr sprichst.«
    »Was willst du damit andeuten? Daß ich mehr für Thea empfinde, als ich es zugebe?« Martin schüttelte den Kopf. »Mein Herz gehört Sophia.«
    »Sophia ist tot.«
    Martin antwortete nicht darauf. Natürlich hatte Sebastian recht in seiner Vermutung, daß er Thea vermißte. In den letzten Wochen waren seine Gedanken häufig bei ihr gewesen, und in so manch kalter Nacht hatte er sich gewünscht, sie im Arm zu halten. Doch wie weit reichten diese Gefühle? Rupert und Berthold, Wenzel und auch Sophia – all diese Protagonisten seiner düsteren Tragödie hatten ihn zu sehr in Anspruch genommen, als daß er sich darüber klar geworden war.
    »Hast du jemals daran gedacht, nach Magdeburg zurückzukehren?« fragte Sebastian.
    »Ich habe die Stadt aus der Ferne betrachtet. Warum sollte ich in diesen Ruinen leben wollen? Alles dort würde mir den schmerzlichen Verlust vor Augen halten.«
    »Du bist weiß Gott nicht der einzige, der unter dieser Katastrophe leidet. Die Schändung Magdeburgs ist in Deutschland, ja in ganz Europa zu einem Sinnbild des Schreckens geworden. Unsere Sprache hat ein neues Wort erhalten: Man spricht von ›magdeburgisieren‹, wenn von einem Massaker oder einer besonders brutalen Plünderung berichtet wird. Und die protestantischen Söldner bezeichnen es als ›Magdeburger Pardon‹, wenn sie ihre Gefangenen ohne Gnade hinrichten.« Sebastian trat an eines der Fenster, öffnete es und schaute hinaus. »Es betrübt mich, daß unser Magdeburg nur noch zu einem Sinnbild von Tod und Entsetzen taugt. Wir müssen die Stadt in einem neuen Glanz erstrahlen lassen. Und es ist mein Ziel, an diesem Wiederaufbau mit meinen eigenen Händen mitzuwirken.«
    Er wandte sich Martin zu. »Könntest du dir vorstellen, mich darin zu unterstützen?«
    Martin zögerte. Dann sagte er: »Verlange das nicht von mir, Sebastian. Magdeburg hängt mir wie ein Fluch an. Ich werde zum Troß stoßen, wenn der Winter vorüber ist.«
    Sebastian nickte. »Ich verlange nichts, was du nicht willst. Bleib bis zum Frühling hier in Wittenberg. Wenn es dein Wunsch ist, zu Thea zurückzukehren, so werde ich dich gewiß nicht daran hindern.«
    »Vielleicht wird es irgendwann einmal möglich sein«, meinte Martin. »Dann, wenn die Feuer in meinem Kopf verloschen sind.«
    »Was bedeutet das?«
    Martin schmunzelte. »Es ist ein Bild, das Thea benutzt hat. Sie meinte, die Feuer von Magdeburg würden in meinem Kopf lodern und mich verzehren.«
    »Sie scheint dich gut zu kennen, diese Thea.«
    Martin widersprach ihm nicht.

Kapitel 14
    Die klirrende Winterkälte

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