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Der Glasmaler und die Hure

Der Glasmaler und die Hure

Titel: Der Glasmaler und die Hure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wilcke
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unbeschadet überstanden hatten.
    Martin ließ die Quartiere der Soldaten hinter sich und gelangte zum Troß. Die Zahl der Wagen schien sich nicht nur verdoppelt, sondern gar verdreifacht zu haben. Wahrscheinlich überstieg die Zahl der Menschen in diesem Troß sogar die der Bürger Münchens.
    Er sprach viele Männer und Frauen an und fragte nach dem Wagen des Feldschers Conrad. Das häufige Schulterzucken und Kopfschütteln ließ ihn befürchten, daß Thea und Conrad den Troß verlassen hatten. Auch plagte ihn die Sorge, sie könnten während seiner Abwesenheit einer Seuche erlegen oder eines gewaltsamen Todes gestorben sein.
    Nach Stunden der Suche schickte ihn ein Nagelschmied, dessen Eheweib vor einiger Zeit von Conrad behandelt worden war, zum westlichen Rand des Lagers.
    Martin saß ab, führte Eris am Zügel und ging aufgeregt durch die Reihen der dicht beieinander stehenden Wagen und Zelte. Ab und an glaubte er vertraute Gesichter zu erkennen, doch die meisten Menschen waren ihm fremd.
    Völlig unvermittelt lief Thea an ihm vorüber. Sie kreuzte seinen Weg nur wenige Schritte entfernt, bemerkte ihn aber nicht. Auf ihrem Arm hielt sie eine Katze. Eine Schar kreischender Kinder umringte sie. Alle streckten ihre Hände aus und wollten das Tier anfassen. Thea schmunzelte und beugte sich hinunter, so daß die Kinder das schwarzgraue Fell der Katze streicheln konnten.
    Martin wollte nach ihr rufen, doch er brachte keinen Ton heraus. Er blieb einfach stehen und betrachtete sie. Thea hatte sich kaum verändert, nur ihr Haar trug sie inzwischen ein wenig länger. Martin schluckte trocken. Thea hatte ihn sieben Monate lang in seinen Gedanken begleitet. Ihr hier nun gegenüberzustehen erschien ihm unwirklich.
    Er wartete ab, ob Thea in seine Richtung blickte, doch sie schickte die Kinder fort und ging des Weges.
    Martin hielt einen Knaben auf, der in seine Richtung davonstob und drückte ihm einen Kreuzer in die Hand. Dann zog er ein Tuch hervor und reichte es ihm.
    »Die Münze gehört dir, wenn du das hier der Frau mit der Katze bringst.«
    »Und warum bringst du es ihr nicht selbst?« fragte das Kind keck.
    Martin zog die Stirn in Falten. »Frag nicht so dumm! Willst du’s dir verdienen oder nicht?«
    Der Knabe nickte eifrig und lief zu Thea zurück.
     
    Thea kraulte die Stirn des Katers und wurde dafür mit einem zufriedenen Schnurren belohnt. Am Tag vor demWeihnachtsfest hatte sie den Kater dabei überrascht, wie er einen Speckstreifen aus ihrem Zelt stehlen wollte. Das halbverhungerte Tier hatte ihr leid getan, und darum überließ sie ihm eine Hälfte des Speckstreifens. Der Kater hatte dies als dauerhafte Einladung verstanden und war ihr fortan nicht mehr von der Seite gewichen. Sie hatte ihn Julius genannt. Der Name erschien ihr passend, denn der Kater Julius war ein gewitzter Dieb – genauso wie Julius aus Magdeburg, der einst Martins Medaillon gestohlen hatte.
    »Du weißt ganz genau, warum du immer in meiner Nähe bleibst«, sagte sie zu dem Kater, was dieser mit einem müden Blick aus halbgeschlossenen Augen quittierte.
    Eine Hand zupfte an ihrem Kleid. Sie wandte sich um und erkannte einen der Knaben, die sie gerade fortgeschickt hatte.
    Thea lächelte. »Kannst wohl nicht genug von dem Kater bekommen, was?«
    Das Kind schüttelte den Kopf. »Ich soll dir das bringen.« Es hielt ein Tuch in der Hand.
    »Von wem?«
    »Ein Mann hat mir das gegeben.« Der Junge deutete hinter seinen Rücken, doch Thea konnte dort niemanden sehen.
    Sie setzte Julius auf die Erde und nahm das Tuch entgegen. Der Junge lief davon. Thea fühlte, daß ein harter Gegenstand in das Tuch eingeschlagen war. Sie stutzte einen Moment, dann faltete sie den Stoff auseinander. Als sie erkannte, was sich darin befand, stockte ihr der Atem.
    In ihren Händen hielt sie die Scherbe, die sie Martin vor über einem halben Jahr mit auf den Weg gegeben hatte. Er hatte ihr versprochen, sie ihr zurückzubringen, doch nach all den Monaten hatte sie den Glauben daran verloren, daß dies jemals geschehen würde.
    Zwei starke Arme umschlangen sie plötzlich von hinten,und eine wohlvertraute Stimme raunte in ihr Ohr: »Hast du an mir gezweifelt?«
    »Martin!« Sie drehte sich um und konnte es nicht fassen, daß er hier wirklich vor ihr stand. Sein Gesicht war mit einem struppigen Bart bedeckt, aber das hinderte sie nicht daran, ihre Lippen auf seinen Mund zu pressen.
    Theas Augen brannten vor Freude. Sie befürchtete, vor ihm in Tränen

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