Der Glaspavillon
Garderobe hingen (mit Schaudern stellte ich fest, daß ich einen von Martha trug), dann gingen wir – Alan zwischen uns –
hinaus.
Während wir über den Rasen marschierten, erzählte Claud von einem Spaziergang, den er tags zuvor unternommen hatte. Er hatte in einer Esche an der Auffahrt ein Eulennest entdeckt, das er uns gern zeigen wollte.
Plötzlich schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»So ein Mist, jetzt hab ich doch glatt das Fernglas vergessen. Könntest du vielleicht schnell zurücklaufen und es holen, Janey?«
Anscheinend waren wir wieder verheiratet.
»Wo ist es denn?«
»In der Stiefelkammer. Die ich natürlich abgeschlossen habe.«
»Wozu denn das?« fragte Alan.
»Moment, ich gebe dir meine Schlüssel«, sagte Claud, während er in den verschiedenen Taschen wühlte. »Oh, tut mir leid, ich hab wohl meinen Schlüsselbund verlegt. Dad, könntest du Jane deine Schlüssel geben?«
Wortlos zog Alan einen großen Schlüsselbund aus der Tasche und gab ihn Claud, der ihn mir ohne erkennbare Gemütsbewegung – abgesehen vielleicht von einer leichten Gereiztheit, weil er so vergeßlich war – in die Hand drückte. Man sagt ja immer, daß Ärzte gleichzeitig auch Schauspieler sein müssen.
»Bis gleich«, sagte ich, drehte mich um und rannte über die Wiese zurück.
Erster Stock, zweiter Stock, die steile Treppe hinauf, die zum großen Speicher führte. Meine Beine zitterten so sehr, daß ich Angst hatte hinzufallen. Ich mußte mehrere Schlüssel ausprobieren, ehe ich den passenden gefunden hatte, dann endlich stieß ich die Tür auf und trat in Alans Reich. Es war ihm heilig, und tatsächlich hatte es, direkt unter dem Dach, eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Kirchenschiff. Auf jeder Schräge waren Fenster, durch die sanftes graues Licht fiel und den Raum nur schwach erhellte, bis ich den Lichtschalter betätigte. Ich war nicht oft hier gewesen. In diesem Raum schrieb Alan seine Bücher – oder tat zumindest so, als schriebe er. Wäre der Raum leer gewesen, hätte er sehr groß gewirkt. Aber vollgestopft, wie er war, kam man kaum durch. Briefe, Rechnungen, Quittungen, Briefe von Verlagen und Universitäten, Reklamesendungen, Flugblätter, Anfragen von Studenten, alte Zeitungen, Postkarten von Alans Söhnen, Einladungen, ungeöffnete Briefumschläge. Auf gut Glück sah ich mir einen Poststempel an: 1993. Ich betrachtete die Bücherstapel, die unordentlich, halb umgekippt überall herumlagen; die zerknüllten Papiertaschentücher in der Ecke; die lange Reihe gebrauchter Kaffeetassen, in denen sich bereits Schimmel bildete; die fast leere Whiskyflasche auf dem Fenstersims.
Nur Alans Schreibtisch war ordentlich – der einzig aufgeräumte Platz im ganzen Zimmer. Wie ein Panzer thronte darauf seine uralte deutsche Schreibmaschine.
Daneben ein Becher mit Stiften und Kugelschreibern und ein leerer Notizblock. Auf dem Regal über dem Schreibtisch drängten sich Dutzende Exemplare von The Town Drain in einer babylonischen Sprachenvielfalt. Der Titel hatte sich immer gegen eine Übersetzung gesperrt.
Ich zog ein paar Schubladen auf: Notizbücher mit fragmentarischen Entwürfen, unbenutzte Postkarten, Farbbänder für die Schreibmaschine, Reißzwecken, eine Heftmaschine, alte Batterien und etliche Gegenstände, deren Verwendungszweck sich mir nicht erschloß. Ich blickte mich um. An einer Wand stand ein Aktenschrank aus grauem Metall, an einer anderen eine Reihe niedriger Schränke. Niemand hebt Tagebücher in einem Aktenschrank auf. Also öffnete ich die Schranktüren. Hinter der ersten fand ich eine Reihe großer Pappschachteln. Auf sie konnte ich bei Bedarf später zurückkommen. Im nächsten Schrank stapelten sich alte Akten, im dritten befand sich lediglich ein großer Karton, auf dem stand: Arthur’s Bosom (provisorischer Titel). Ich spähte hinein, entdeckte aber nur ein paar Blätter mit Alans breiter Handschrift.
Dialogfetzen, noch nicht zusammengefügte Sätze, Beschreibungen, die im Sand verliefen. Dies war also der großartige Roman, Alans langerwartetes Comeback, das Meisterwerk, für das er regelmäßig die Stufen empor-klomm. Wider meinen Willen überkam mich Mitleid. Das Leben konnte unerträglich hart sein.
Der vierte Schrank war mit Zeitungen und Zeitschriften vollgestopft, wahrscheinlich alte Buchbesprechungen und Interviews. Aber im nächsten fand ich endlich, was ich suchte. Dutzende kartonierter Notizbücher standen aufgereiht in den Fächern. Ich zog eines
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