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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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zu reden. Ich hörte, wie ich mich in der Eile verhaspelte. Meine Stimme plätscherte unnatürlich, und mein starres Lächeln sollte auch ihm eines entlocken »Er ist vor längerer Zeit entlassen worden, vor etwas mehr als einem Jahr oder schon länger, ich erinnere mich nicht genau, denn zu uns ist er jetzt erst zurückgekehrt … Ich kannte ihn gar nicht, Sie können sich ja vorstellen, als Mutter von ihm wegging, war ich klein … Sie verstehen, er ist jetzt wieder eingegliedert, gewissermaßen rehabilitiert, so hat er es uns im Übrigen auch gesagt, er hat, als er wieder frei war, nicht gleich zurückkommen wollen, er wollte sich erst eine gewisse Situation schaffen, damit wir nicht glauben, er kommt notgedrungen … So hat er es auch mir gesagt, als ich ihn getroffen habe, vor einem Monat war das, Mutter hatte mir geschrieben, und da bin ich nach Hause gefahren, ich bin ja sowieso oft gefahren, denn seit der Onkel gestorben ist, war Mutter sehr allein, Sie verstehen … Ich habe mir gedacht, er ist vielleicht auch zurückgekommen, weil er davon erfahren hat – das habe ich mir gedacht, ohne dass er etwas gesagt hätte, für mich war es, als sähe ich ihn zum ersten Mal, das können Sie sich ja vorstellen …«
    Mir kam es vor, als hätte ich noch nie so viel geredet, soweit ich zurückdenken konnte. Ich wartete darauf, dass er mir ins Wort fiel, und fürchtete zugleich, dass er es tun würde, das hätte ja bedeutet, dass das, was ich sagte, ihm nicht ausreichte, und was hätte er denn sonst noch fragen können?
    Er führte die Hand zum Mund und gähnte. »Wenn du die anderen beiden siehst, sag auch ihnen, sie sollen hier vorbeikommen, aber möglichst bald, nächste Woche bin ich im Urlaub …«
    Das war also alles, sagte ich mir und ging mit immer noch weichen Knien die Treppe hinunter. Kleinkram, wunderte ich mich, wie lächerlich erschien mir doch die Angst davor und mein in vorauseilendem Gehorsam geneigtes Haupt, das alles hinzunehmen oder alles zu verneinen bereit war, noch konnte ich dieser Angst allerdings nicht entgegentreten. Wieso war ich so glimpflich davongekommen, hatte sich denn wirklich etwas geändert in der Welt, in der wir lebten, oder war das Schuldgefühl, das ich dermaßen lebendig in mir vorgefunden hatte, überhaupt grundlos?
    Es fiel mir schwer, das alles jetzt zu ergründen, ich hatte dazu ebenso wenig Lust wie daran, mich zu erinnern, dass ich so schnell bereit gewesen war, meinen Onkel zu verleugnen. Meine Freude war schal, ich wusste, dass ich irgendwann darauf zurückkommen, das alles aufmerksam bedenken musste, aber nicht jetzt, sagte ich mir kopfschüttelnd, nicht jetzt, ein andermal, wenn ich mehr Zeit habe, ein andermal …
    *
    Â»Wo bleibst du denn?«, fragte mich Domnica. »Die anderen sind dann zum Film … Ene hat herumgebrüllt, ohne dich geht er nicht …«
    Â»Hat Nana dir nichts gesagt?«
    Sie schüttelte den Kopf. Wenn sie ihr gar nichts gesagt hatte, dann hatte sie wirklich nichts Ungewöhnliches dabei gefunden. Für einen Augenblick fragte ich mich, ob es die Sachen, vor denen ich Angst hatte, wirklich gab und nicht nur Übertreibungen von Onkel Ion und Mutter waren. War es wirklich so gewesen, wie ich aus ihren bruchstückhaften Aussagen geschlossen hatte? Jene Jahre blieben im Ungewissen, ihre Schatten legten sich ab und zu über mich, aber in ihren verwirrten und verschreckten Blicken waren sie mir immer gegenwärtig.
    Â»Ich war bei der Kaderabteilung …«, antwortete ich mit einer wegwerfenden Handbewegung.
    Da fiel mir ein, dass Domnica sich um ein Stipendium beworben hatte, im Unterschied zu mir. Das bedeutete, dass sie eine ganz andere Akte hatte, das bedeutete, dass sie nichts zu befürchten hatte, dass sie sich nicht fürchten musste wie ich.
    Â»Und was wollte er?«, fragte sie.
    Ich sah sie prüfend an, ihr Gesicht war unverändert, nur ein paar staunende Falten waren auf ihre Stirn getreten. Vielleicht würde sie es trotzdem verstehen, dachte ich mir und zögerte, ob ich ihr erzählen sollte, welche Angst ich gehabt hatte, und sie fragen, ob diese irgendwie gerechtfertigt war. Vielleicht verheimlichte auch sie etwas, so wie ich, also versuchte ich mir in Erinnerung zu rufen, was ich über ihre Familie wusste, es war so gut wie nichts. Ihr Vater war irgendein

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