Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
Vom Netzwerk:
Dankbarkeit, die ich behalten und jahrelang aufrechterhalten sollte. Er hatte es fertiggebracht, mit mir hier hereinzukommen und sich neben mich zu setzen, als scherte er sich nicht im Geringsten um den vor drei Jahren von der Stange gekauften ballonseidenen Mantel, den ich an der Garderobe abgegeben hatte, um meinen billigen Relonpullover und die schief geschnittenen Nägel an meinen tintenfleckigen Fingern.
    Â»Ich suche etwas für Sie aus, wenn Sie sich nicht entscheiden«, sagte er, und für einen Moment atmete ich erleichtert auf.
    Staunend betrachtete ich die hohen Kelche, in denen je eine dünne Zitronenschnitte schwamm. An den Rändern funkelten kleine Eiskristalle. Als ich mein Glas zum Mund führte, leckte ich verstohlen daran und merkte, dass es Zucker war. Noch mehr wunderte ich mich darüber, dass er nichts mehr über die Arbeit sagte, er fragte nach meinem Zuhause, nach der Stadt, nach dem Onkel und seinem Tod, allerdings nicht ungezwungen, sondern so, als müsse er das Schweigen überbrücken, das sich sonst sofort einstellen würde. Doch ich hing angespannt an seinen Lippen, legte mir die Antwort vorher zurecht, um sie mir dann im letzten Moment zu verkneifen. Alles, was ich in meinem Kopf zusammenkramte, erschien mir dermaßen bedeutungslos, ich konnte es einfach nicht riskieren, dass er mich so sah, wie ich war, deshalb schob ich die Antworten hinaus und suchte krampfhaft nach etwas anderem, das ich ihm hätte sagen können.
    Am Plattenautomaten wählte jemand immer wieder dasselbe Lied, das ich mittlerweile auswendig kannte. Getragen wogte es zwischen den gepolsterten Wänden der Bar auf und ab, Only yououou , und ich spürte, wie es sich emporschwang, vermischt mit dem Getuschel an den Tischen, mit dem Abendlicht, das jenseits der schweren Samtvorhänge an den Fenstern verblich, mit dem Getränk, das mir die Schultern bleiern hinabzog. Etwas Fremdes und Gefährliches, eine in so viel Wohlgefallen aufgelöste Trauer hatte mich überschwemmt, in den klangvollen Worten Only you meinte ich die Möglichkeit eines anderen, aufreibenden Lebens für mich zu erkennen, der Schmerz, den ich in mir trug, war auf einmal konzentriert, frei von Langeweile und Vergessen. Nichts von all dem, was ich bisher erlebt hatte, kam der durchdringenden Schärfe dieses Augenblicks gleich. Als es still wurde und der Nachhall des Liedes verklungen war, blinzelte ich verblüfft, weil ich nicht begriff, wohin alles verschwunden war.
    Als ich die Hand nach dem Glas ausstreckte, und unsere Finger sich berührten, spürte ich, dass die zarten Nerven in meiner Brust elektrisiert waren, das gab mir einen Stich, und ich senkte verlegen den Blick. Ich war plötzlich dem seinen begegnet, er erschien mir zu feucht und zu unstet. Seine blauen Augen wichen mir aus, kehrten wieder zu mir zurück, blieben haften. Und dann dieses unwirkliche Blau, festlich und durchsichtig, feucht glitzernd vor Erregung.
    Â»Gehen wir«, sagte er, »ich will dir auch das Buch geben …«
    Ich ahnte, was sein Lächeln bedeutete, allerdings derart undeutlich, dass ich es gar nicht an mich herankommen ließ. Umständlich stand ich auf und suchte nach meiner weißen Handtasche mit den schmutzigen Ecken. Mir schien, als hätte ich mich schon vor langer Zeit entschlossen, es diesmal darauf ankommen zu lassen, ohne mir Gedanken darüber zu machen, so dass ich keine Bewegung wagte, durch die ich ihn jetzt, wo ich ihm so nahe gekommen war, hätte verlieren können. Ich ging quer durch den Raum der Bar und hätte es in Kauf genommen, mit Eintretenden zusammenzustoßen, um mich nicht in den Spiegeln, in denen sich meine Schritte abzeichneten, wiedererkennen zu müssen.
    *
    Ich hatte keine Zeit gehabt, mich an das Zimmer zu gewöhnen. Ich saß auf der Kante des schwarzen Stuhls aus geschnitztem Holz, scheinbar zum Gehen bereit, doch von Gehen konnte jetzt keine Rede mehr sein. Mein Blick streifte die überquellenden Bücherregale. Darüber hing eine folkloristische Maske. Ich wusste noch nicht einmal, dass es solche Masken gab – geschweige denn, dass sie jetzt als Zimmerschmuck in Mode waren. Er bückte sich zu einem Schränkchen, nahm eine Flasche und zwei Gläser heraus und stellte sie auf ein Tablett.
    Â»Trink«, raunte er leise und gebieterisch, im selben Tonfall, in dem er mir seinerzeit die Bibliographie diktiert hatte.
    Ich nickte und

Weitere Kostenlose Bücher