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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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legte meine feuchte Hand auf die seine, die sanft meine Knie streichelte. Nichts von dem, was mit mir geschah, überraschte mich, es war, als hätte ich es schon erwartet, als ich mit den zusammengerollten Arbeitspapieren zu ihm gegangen war. Ich spürte immer noch Onkel Ions ängstliche Vorsicht in mir, allerdings überlagert vom betäubenden Geschmack des Risikos, das ich noch nie eingegangen war. Hinter meinen Lidern tat sich jenes andere Zimmer auf, aus dem ich gekommen war, in das ich zurückgehen musste, die fünf Betten mit großflächig gelb geblümten Überdecken, Didis leises Schnarchen und wie ich nachts zu ihr ging, um sie zu schubsen, damit sie sich zur Seite drehte, wie ich es früher mit dem Onkel getan hatte. Petru Arcans feuchter Mund hatte sich an meinem festgesaugt, und sein fliegender Atem nahm die Witterung meines Haars und meines Halses auf. Das ganze Zimmer, oder war es nur er, roch betäubend und seltsam nach ausländischen Büchern, gutem Tabak und After-shave, was mich an Biţă erinnerte. Ob das immer so war oder ob nur ich nichts spürte als das, fragte ich mich verwundert, während ich ergeben die Arme hob, damit er mir den Pullover ausziehen konnte. Noch nicht einmal sechs war ich damals, als ich mit Mutter zu Onkel Ion kam, der ihn mir auch so auszog, mit einer vor lauter Ungeschick brutalen Sorgfalt. Er hatte es versäumt, die Knöpfe am Hals zu öffnen, und ich weinte verschreckt in der weichwollenen Finsternis.
    Â»Wieso bist du denn dermaßen brav?«, flüsterte er mit unsicherem Lächeln.
    Die unteren Zahnhälse waren über dem Zahnfleisch gelb, wahrscheinlich vom Rauchen, dachte ich mir und schützte meine Schultern mit den Händen. Der Rauputz an der Wand war voller gelber Pusteln. Ich ging auf nackten Sohlen bis zum Tisch und tastete nach meinem Glas. Ich trank, damit ich mich nicht umdrehen, ihn nicht sehen musste. Er wusste nicht (ich sollte es erst später begreifen), dass die Ruhe, mit der ich mich nackt zeigte, auf das Gemeinschaftsbadezimmer mit Betonfußboden und schadhaftem Spülbecken zurückging. In der dünnen Luft hörte ich seine Kleider raschelnd fallen, ein kleiner Augenblick blieb mir noch, um allein und in Ruhe das Zimmer zu betrachten, angetan von den schweren Gardinen und dem matten Glanz des silbernen Aschenbechers auf dem Kristallglas des Schreibtischs.
    Â»Ich hab ausgetrunken«, flüsterte ich, streckte mich aus und legte meinen Kopf auf die angewinkelten Arme.
    Mit der einen Gesichtshälfte, die nicht in der Polsterung des Sofas versunken war, nahm ich die rollende Bewegung der Möbel wahr. Sie fuhren mit meinem sich hebenden Atem langsam aufwärts bis zu einem Punkt, an dem mir schwindlig wurde, dann rasselte mit einem Mal alles herunter, und wenn ich wieder einatmete, begannen die Möbel ihren Aufstieg von neuem. Es war eher die Wirkung des Camparis als die der Aufregung oder Angst. Ich umarmte ihn, weil er mir leidtat in seiner fremdartig bettelnden Erregung, selbst seine Achselhöhle pochte wie ein Herz. Nur der Moment, als ich mich nackt dem augenlosen Zimmer ausgesetzt hatte, drängte sich vor seine Bewegungen, die mir demütigende Schmerzen verursachten. Während ich die Zähne zusammenbiss und mein Körper sich immer weiter verkrampfte unter dem unbeholfenen Druck, mit dem er – fast war es langweilig – versuchte, mich zu öffnen, sah ich wieder das Bad, die vom Dampf tropfenden Wände und mich, wie ich bei jedem Schritt auf dem zu den runden schwarzen Abflusslöchern abfallenden Betonfußboden ausrutschte. Dabei erkannte ich mich verärgert wieder in der vielfachen Nacktheit der anderen, den Brüsten, den Hüften, den von dem Strahl lauwarmen Wassers aus den verbogenen Brausen geröteten Gesichtern. Vielleicht hätte ich das, was mir geschah, noch mit Tränen oder Bitten hinauszögern können, aber ich hatte meinen fremden Körper ostentativ verlassen; zwar versuchten meine Bewegungen willenlos, seinen zu folgen, ich war mir jedoch sicher, dass ich selbst irgendwo draußen geblieben war, und betrachtete sowohl ihn als auch mich mit derselben Mischung aus Neugier und Überdruss.
    *
    Plötzlich wurde es kalt im Zimmer von der grauen Nachtluft, die durch die Gardinen hereinwehte. Vom Tablett her verströmten die Reste des Getränks säuerliche Gerüche, rundherum, auf dem Teppich und auf den

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