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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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sich immer milchiger, und das plötzliche Rasseln des Telefons ließ mich zusammenzucken. Unter meinen staunenden Augen ankerte das Zimmer plötzlich in einer Welt, für die Onkel Ion mir, ohne es zu wollen, ohne es auch nur zu ahnen, das Gift und die Süße der Bewunderung eingeträufelt hatte. Für mich war der Anrufer ein Name, den ich aus den Büchern kannte, ein Gesicht, das ich im Fernsehen gesehen hatte, und dennoch so nah, dass ich seinen keuchenden Atem aus dem Hörer vernahm, den Petru langsam abgenommen hatte.
    Â»Ich habe dich angerufen, eine Stunde bevor ich gegangen bin … Bist du denn verrückt, mich einzuladen und dann wegzugehen?«, schimpfte Petru mit der jungenhaften Grobheit, die mich gleich beim ersten Mal getroffen hatte.
    Und der andere, der für mich immer noch bloß ein Name war, verwandelte sich in eine Stimme, die sich hastig entschuldigte.
    Da ich nicht weiter wusste, trat ich näher an den Tisch und ließ meinen neugierigen Blick über seine herumliegenden Notizen schweifen. So ein Leben, das war meine Sehnsucht, mir schwebte eine jahrelange Anstrengung vor wie die meines Onkels, die hier zum Erfolg gediehen war. Ohne das Gespräch mit dem anderen zu unterbrechen, drehte sich Petru plötzlich nach mir um, und seine böse Miene hielt mich davon ab, näher an den Tisch zu treten; ich ging zurück und setzte mich auf einen Stuhl, möglichst weit weg. Mir wurde bewusst, dass er sein Leben genau wie bisher gegenüber meinem abschottete, und einen Augenblick lang erschien mir der Gedanke unerträglich. Ein Irrtum war allerdings ausgeschlossen, in seinem Gesicht lag eine unerbittliche, sachliche Aufrichtigkeit.
    Â»Schauen wir doch mal, was du sonst noch gemacht hast …« In seinen Worten klang ein verstecktes begütigendes Lächeln für mich mit. Zugleich hatte ich wieder den Eindruck, dass er vollkommen eingekapselt war, so wie es mir immer ging, wenn ich mit ihm zusammen war und ihm näher zu rücken versuchte. Ohne zu antworten, bückte ich mich nach der Mappe in einer Ecke, um die Papiere hervorzuholen.
    Er setzte sich auf die Fensterbank, und während er las, senkten sich sanft seine Wimpern. Ich sah, wie sie, weich und dicht, sein verschlossenes Gesicht besänftigten, jenes Gesicht, von dem ich wusste, dass er sich dahinter versteckte. Eigentlich hatte ich ihn mir ja schon lange ausgesucht, vielleicht schon damals, als Onkel Ion mir von ihm erzählte, hatte ihn ausersehen unter all denen, die ich kannte, all denen, die ich noch kennenlernen sollte, war dann aber aus Unachtsamkeit an Mihai geraten. Vielleicht war es sogar noch früher gewesen, damals, als er in der Tür zu unserem Flur lehnte, von einem Bein aufs andere trat und nur mit ja und nein antwortete. Ich hatte ihn ausgesucht, ohne es zu wissen und ohne ihn wirklich zu kennen, und ich kannte ihn noch immer nicht besser. Er schien ganz anders zu sein, als ich ihn mir vorgestellt hatte, vielleicht hatte ich die Jahre verpasst, in denen ich ihn so hätte finden können, wie ich ihn mir gewünscht hätte. Ich hatte ihn zu spät bekommen, vielleicht aber hatte ich ihn erst jetzt und nur so erwartet.
    Als er mir die Hand auf die Schulter legte und mich näher an sich heranzog, sah ich seine konzentriert geweitete Iris, die alles Blau um sich verdrängt hatte, und vergrub meinen erstaunten Blick in dem weichen Hemdausschnitt, wobei ich spürte, wie sich mein Körper sperrte. Er schob mich gleich wieder von sich, misstrauisch und verständnislos.
    Â»Was hast du?«
    Â»Nichts – was soll ich denn haben?«, gab ich gereizt zurück.
    Ich umrundete ohne bestimmte Absicht den Schreibtisch und griff nach irgendeinem Buch, um es dann sofort wieder sinken zu lassen. Zwischen den Blättern hatte ich ein Foto entdeckt, von dem mir ein entspannt lächelndes Gesicht entgegenblickte, das ich irgendwoher kannte. Er war dermaßen schnell aufgefahren und hatte sich so plötzlich wieder gefangen, dass ich, weil mir nichts Besseres einfiel, fragte, ob er am Nachmittag vielleicht weggehen wollte?
    Mürrisch entgegnete er: »Nein, ich habe zu tun«, dabei zeigte er auf die Notizen, »du kannst mich anrufen …«
    *
    Inzwischen wusste ich im Voraus, wann die Unruhe kam, im Näherkommen wurde sie größer und größer, ich spürte, wie sie mir in die Hände kroch, kribbelnd wie Alkohol. Sie begann

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