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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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ich sah etwas kommen, dessen Ende ich nicht abzusehen wagte. Ein allzu runder Mond stieg über den Dächern herauf, weiß und angenagt vom ätzenden Licht der Neonlampen.
    *
    Der Hof vor der offenen Tür war grün durchrauscht von den Bäumen, die den Regen vorausahnten. Mit sicheren Schritten ging ich die Stufen hinunter, mit mir zufrieden wie noch nie. Alles, was ich an Neuem erfuhr, begeisterte mich, als hätte ich es entdeckt. Später sollte ich enttäuscht feststellen, dass ich es auf einer Seite des Onkels angeführt fand, die ich mir bis dahin nicht genauer angesehen hatte. Heute jedoch verspürte ich nichts als die Freude über den Lohn meiner Mühen, in der belebten Luft des Hofes wankte ich leicht vor Müdigkeit. Das üppig aus der feuchten Erde sprießende Gras bog sich unter den Sohlen meiner Sandalen, und darunter glitten unhörbar die Schnecken hindurch. Am Hofgitter vernahm ich das anschwellende Brausen der Stadt. Wo immer ich vorbeikam, wünschte ich mir, mein Leben hätte genau hier längst begonnen und wäre schon zur Gewohnheit geworden. Jenes Fenster im zweiten Stock, dessen Nylonvorhang sich im Wind blähte, hätte das Fenster meines Zimmers sein können. Ich machte einen Bogen um den Stapel Drahtkörbe mit vollen Milchflaschen. Irgendwann wird ein Morgen sein, an dem ich herunterkomme und hier meinen Joghurt kaufe, den kleinen Laden nebenan mit den länglichen Gläsern voller Bonbons und Rosinen werde ich gelegentlich betreten wie alle Erwachsenen der Stadt und dort meinen Kaffee kaufen. Auf den Stufen des Rathauses ließ sich ein junges Brautpaar mit der Hochzeitsgesellschaft fotografieren, ich sah sie reglos dastehen, die Blumensträuße bündelweise so im Arm, dass sie aus dem raschelnden Glanzpapier zu rutschen drohten. Eine Mutter oder Tante mit einem Gesichtsschleier am Hut, wie er vor dreißig Jahren modern gewesen sein mochte, drapierte noch das Kleid der Braut, als der Apparat auslöste. So würde auch ich eines Tages dastehen, sagte ich mir, und hinter mir würden meine Freundinnen genau so kichern wie diese Mädchen.
    Das Leben der Stadt überströmte mich, und ich verlor mich darin, während ich immer aufgeregter die Straßen entlangging, die sich bunt einfärbten vor lauter Reklamelichtern und vor Erwartung.

Kapitel XIX
    H ier könnten wir hineingehen – waren Sie schon mal da?«, fragte mich Petru Arcan und stieß die schwere Glastür mit einer Hand auf.
    Â»Nein, noch nie …«
    Ich ging andächtig und vorsichtig neben ihm her, wagte kaum aufzuschauen. Auf den schwarzen Plüschsofas saßen Pärchen mit langstieligen Gläsern in der Hand, aus denen sie hin und wieder mit Strohhalmen von den bunten Getränken nippten, die Mädchen trugen sehr kurze Röcke und hatten die Lider grün oder blau geschminkt, wie es damals aufkam. Es wurde im Flüsterton geredet, und der dicke Teppich dämpfte die Stimmen zusätzlich. An der Bar drehte sich ein Mann immer wieder mitsamt dem Hocker um und spähte ungeduldig in den Saal. Gerne hätte auch ich dort gesessen, mit einer Zigarette in der einen und einem langstieligen Kelch in der anderen Hand, hätte laut gelacht und die Locken geschüttelt, wie ich es im Kino gesehen hatte. Aber meine Bewegungen waren dermaßen unsicher, dass ich froh war, als wir die Saaldurchquerung hinter uns hatten. Hier auf der Eckbank fühlte ich mich in Sicherheit, nur manchmal fiel mir ein, dass wir irgendwann auch gehen mussten und ich dann gezwungen war, noch einmal all die Blicke zu ertragen.
    Â»Ist es nicht besser hier als im Sprechzimmer?«, fragte er. Zerstreut überflog er das Faltblatt mit den Namen der Getränke, fremden Wörtern, die mir allesamt unbekannt waren. Mit verstohlener Eile versuchte ich sie auf den dunkel etikettierten Flaschen vor dem Barkeeper oder im Spiegel hinter dem Regal auszumachen. Es gelang mir jedoch nicht, mehr als hie und da ein Wort, manchmal auch nur ein paar Buchstaben zu erkennen.
    Â»Doch«, antwortete ich mit einiger Verzögerung.
    Ich fürchtete mich vor jeder Frage, die er mir stellen könnte, ich befürchtete, ich würde den ganzen Abend zu nichts anderem imstande sein, als ja und nein zu sagen. Ein Spiegel hing auch über dem Tisch, an den wir uns gesetzt hatten. Ich betrachtete mein Spiegelbild unzufrieden wie immer, und mich überlief eine beschämte

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