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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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und Erregung. Zeile für Zeile hatte ich innegehalten in der Überzeugung, dass jedes Wort von ihm einen tieferen Sinn hatte. Ich hatte ein paar den Umständen geschuldete Stellen zur Rolle der Partei und zum 9. Parteitag entdeckt, die zumal vor drei oder vier Jahren Pflicht gewesen waren – allerdings gab es bei ihm davon weniger als bei anderen Autoren, und so versuchte ich, meine Enttäuschung hinunterzuschlucken und nur meine Bewunderung für den Rest aufrechtzuerhalten. Doch nie ergab sich die Gelegenheit, ihm etwas zu sagen. Außerdem erschien es mir riskant, er hätte mich nach meiner Meinung über seine Artikel fragen können, und mir wäre bestimmt nichts über die Lippen gekommen.
    Er nahm sich die Blätter vor, die ich wie gewöhnlich auf eine Tischecke gelegt hatte, und sprach mich ab und zu darauf an: »Was ist denn das?«, fragte er und kreiste mit dem Bleistift irgendeine Zeile oder eine Zahl ein.
    Ich sprang mit vor Demütigung und Empörung glühenden Wangen auf, während er abwesend durch die Zähne knurrte: »Sie sind mir ja vielleicht eine … Wo steht Ihnen denn der Kopf, wenn nicht bei der Arbeit? … Wenn Sie so weiter …«
    Hinter seiner Strenge erkannte ich seine intellektuelle Gewissenhaftigkeit, die mich so überwältigt hatte. Daraus bezog er seine Stärke, aber auch aus seiner Selbstgefälligkeit, die in dem selbstsicheren Lachen durchklang.
    Eines Abends war ich die letzte, denn ich war später gekommen.
    Â»Wir gehen zusammen«, sagte er und blieb kurz stehen, um die Tür abzuschließen. Er ging zum Schalter des Pförtners, um den Schlüssel abzugeben, da schnappte ich ein Satzende auf, das ihm aus Unachtsamkeit herausgerutscht war: »… wenn ich in den Ferien nach Hause gefahren bin.«
    Â»Wohin nach Hause?«, fragte ich ihn.
    Er spürte das verschwörerische Lächeln in meiner Stimme, und ich sah, wie er ärgerlich mit den Schultern zuckte.
    Â»Sie wissen ja doch nicht, wohin«, antwortete er nach einer Weile.
    Den Rest des Weges schien er mich durch hartnäckiges Schweigen dafür zu bestrafen, wie vorlaut ich versucht hatte, mich in die Welt einzuschleichen, aus der er kam. Mein erster Gedanke war nicht, dass er sie hätte verleugnen wollen, sondern dass er sie für sich behalten wollte, niemandem sonst zugänglich. Dabei war er (höchstwahrscheinlich) nur müde und hatte keine Lust zu reden.
    *
    Nur einmal meinte ich seine alte Verletzlichkeit zu spüren. Die Tür zu seinem Sprechzimmer ging auf, und diejenige, die eintrat, legte schon in der Art, wie sie die Klinke betätigte, und in ihren eiligen Schritten bis zum Tisch, an dem wir arbeiteten, eine Selbstgewissheit an den Tag, dass ich meinte, es müsste eine Assistentin sein, und erst von den Papieren aufsah, als Petru Arcan aufsprang, um sie zu begrüßen.
    Zwei rötliche Flecken waren auf seine blassen Wangen getreten. Unregelmäßig, kaum wahrnehmbar für ein anderes als mein lauerndes Auge. Mit langen Unterbrechungen antwortete er der jungen Frau, deren hochgewachsene schmale Gestalt in einem langen schwarzen Mantel, wie es sie damals in den Straßen von Bukarest kaum gab, ich nur undeutlich wahrnahm. Ich spürte seine verlegene Unruhe und wandte mich ärgerlich ab, als wäre ich selbst errötet. Sie waren ein paar Schritte zur Seite gegangen, und ich hörte nur ihre raunende Stimme und das helle Klirren ihrer Armbänder, wenn sie ihre Worte mit kategorischen Bewegungen ihrer schmalen Hand unterstrich. Ohne hinzusehen, mutmaßte ich, dass bei ihm die zehn Jahre zurückliegenden linkischen und fahrigen Gesten wieder auftauchten. Er griff hinter sich nach einem Stuhl, den er ihr anbieten wollte, kriegte ihn in der Eile nicht zu fassen und stieß sich an dem anderen.
    Â»Nicht nötig, ich hab’s jetzt eilig, lass mal, ich ruf dich an«, rief sie von der Schwelle. Schwungvoll warf sie den Tragriemen ihrer glänzenden Handtasche mit komplizierter silberner Schnalle über die Schulter, und gleich darauf waren ihre flinken kleinen Schritte auf dem Betonfußboden des Korridors zu hören.
    Petru Arcan setzte sich wieder und suchte in den Papieren die Stelle, an der er unterbrochen worden war. »Entschuldigung«, sagte er nach einiger Zeit, als erinnerte er sich jetzt erst an mich.
    Ich bohrte meinen düsteren Blick in den Fußboden, denn

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