Der gleiche Weg an jedem Tag
Stühlen, lagen reglos und offen, weich und obszön unsere Kleider durcheinander. Auch das ist etwas Gewöhnliches, das ständig passiert, sagte ich mir mit bitterer Empörung, presste die Lider zusammen, ohne mich zu rühren unter seiner Hand, die erschöpft auf meiner Schulter lag. Nebenan lag mein Körper, den ich am liebsten vergessen hätte, ein schändlich beflecktes GefäÃ. Wie können sie das nur tun, wieso schämen sie sich nicht voreinander, dies so zu tun, nackt, Auge in Auge?, fragte ich mich immer wieder und verbarg, allerdings zu spät, mein tränenloses Gesicht unter den Ellbogen, die sich hager und spitz anfühlten. Seit eh und je hatte ich alle anderen Menschen in Kleidern gesehen, die mit ihrem Körper verwachsen schienen, wie sie ernst und eilig zur Arbeit, auf den Markt oder zu Sitzungen gingen. Ich vermied jede Kopfbewegung, am liebsten hätte ich ihm nie wieder ins Gesicht sehen mögen.
»Gehst du zuerst ins Bad?«, flüsterte er und strich mir mechanisch übers Haar.
Ich schüttelte feindselig den Kopf und zerrte die Ãberdecke des Sofas über mich, hinauf bis zu meinen nackten Augen. Hinter der Tür hörte ich das Plätschern des Wassers und seine Schritte. Ich fürchtete, er würde wiederkommen, ich fürchtete mich davor, die feuchte und widerliche Wärme verlassen zu müssen. Unten auf dem fremden Boulevard gingen die Lichter an, ich hörte das Knacken der Türklinke und erahnte seine Gestalt in der Dunkelheit und seine Ratlosigkeit vor meinem Schweigen. Er wühlte im Schrank und legte mir das gefaltete Handtuch neben das Kissen.
*
Die eine Schulter war steif, ich spürte es durch den dünnen Schlaf, der immer durchscheinender wurde, aber ich rührte mich nicht, um ihn nicht zu wecken. Ich vernahm seinen gleichmäÃigen Atem neben mir. Sein Kopf war in eine Ecke des Kissens gerutscht, die sich blähte, und während ich aus dem Schlaf zurückkehrte, erkannte ich ihn plötzlich wieder und betrachtete ihn verwundert. Die krachende Aufzugstür lieà die Mauern immer wieder erbeben, und das morgendliche Stimmengewirr auf dem Gang schien mir unsere Nacktheit zu belauern. Hin und wieder klinkte unten eine Weiche ein, und die StraÃenbahn fuhr mit metallischem Gerassel über uns hinweg. Während ich ihn so betrachtete, versuchte ich sein im Schlaf kindlich erscheinendes Gesicht zu lesen. Ich ahnte etwas, fast meinte ich, es zu begreifen. Das allerdings nur eine wirre Sekunde lang, die ich sofort wieder vergaÃ, weil sie sich mir nicht deutlich erschloss. Ich hatte ihn bislang noch nie richtig sehen können, weil ich den Blick nicht von mir selbst abgewandt hatte. Er hatte sich die ganze Zeit in einem leeren Raum bewegt, er war wie ein Unbekannter in einem Türrahmen. Ein unsichtbares Schwanken lag in dem Augenblick, nur ich spürte es, noch konnte ich auf sein unbekanntes Leben, auf seinen Körper verzichten, noch war nichts von ihm auf mich übergegangen. Dann meinte ich, es greifbar vor mir zu sehen wie einen Schritt, meinte zu wissen, wie ich mich entscheiden sollte, war unbewusst aber schon gebannt von ihm, von seinem gleichmäÃigen Atem. Ich streckte die Hand aus und berührte mit neugieriger Zärtlichkeit sein leicht verschwitztes Haar, meine versöhnlichen Gedanken breiteten sich zum ersten Mal über seinen unwissenden Schlaf.
*
Dann dämmerten die Stunden vor sich hin, Gewöhnung stellte sich ein, und nur hie und da sah ich nach seiner Uhr, die auf dem schwarzen Schreibtisch lag. Auf dem kleinen Zifferblatt glitten die Minuten wie immer ohne Eile dahin. Ein Zimmer, in dem das Rauschen der Dusche zu hören war und die Wände umschmeichelt wurden von sanften Akkorden, es war, wie ich mittlerweile wusste, der Geiger nebenan, der zu dieser Stunde übte. Aufgrund unerklärlicher Umstände war er manchmal zu hören, dann wieder zogen sich die Töne ins Schweigen zurück. Ich stand vorgeneigt an dem breiten Fenster und sah zwischen den Vorhängen in das im Morgennebel weiÃlich schimmernde Licht. Unvorstellbar: so wäre mein Leben hier. Durch das Fenster seiner Wohnung drang eine fremde Stadt herein, die ich mit freudig verwunderten Augen aufnahm, wie auf Reisen. Die Häuser hatten andere Ecken und Kanten und seltsame Dächer mit Zinnen und Scharten. Von unten reckten die Bäume ihr schweres Sommerblattwerk herauf. Das Licht ergoss
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