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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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die beiden Schirme glichen sich. Ihre Glatzen waren von schütterem weißem Haar umkränzt, und wenn sie lachten, sprühten kleine Wassertropfen aus ihren zahnlosen Mündern. Auf der Bank gegenüber saßen, Zigaretten in der Hand, zwei langmähnige Mädchen in sehr kurzen Röcken, die über ihren strammen Schenkeln spannten. Ein Mann hämmerte mit der Faust gegen das Telefon an der Wand, wahrscheinlich war der Münzschlitz verstopft. Die auf Putz verlegten gewundenen Rohre waren kalkverspritzt von den Malerarbeiten. Wenn ich zu den dunklen Fenstern, rund wie Bullaugen, hinaussah, kam es mir vor, als sei ich im Rumpf eines Schiffes. Ich irrte auf den kalten grauen Mosaikquadraten herum wie die Luft, die von draußen hereinzog, im Hall der Schritte, die von überall kamen. Ich konnte kaum glauben, dass ich es so weit gebracht hatte, in dieser Bibliothek zu lesen, von der Onkel Ion manchmal gesprochen hatte, immer ganz nostalgisch und andächtig. Die Raucher scharten sich um einen großen schwarzen, verkratzten Tisch, sie kannten sich wahrscheinlich, denn sie standen dort im Dunkeln in kleinen Gruppen flüsternd zusammen. Ein gebeugter alter Mann kam jetzt mit steifen Beinen zittrigen Schrittes die Treppe herab, wobei er sich mit der Hand vorsichtig an der Wand abstützte. Neugierig sog sich mein Blick an seinem vom Alter enthaarten Gesicht voller frischer rosaroter und gelber Fältchen fest, ich beobachtete seine unsicheren Bewegungen, denen ich dennoch die Vertrautheit mit dieser Örtlichkeit ablesen konnte. Schau an, wie er diese undurchsichtigen Zeiten durchschwommen hat, sich von den Wassern hat tragen lassen aus »anderen Zeiten« bis ins Heute. In meine Neugier mischte sich wehmütiger Respekt wie für einen stolzen Sieger (damals war mir noch nicht aufgegangen, dass man sich den Sieg manchmal mit Lügen erkauft). Selbst wenn man mir seinen Name genannt und ich ihn nicht gekannt hätte, wäre ich überzeugt gewesen, dass das nur an meiner Unwissenheit lag. Auf der Weltenleiter, die ich mir im Kopf zurechtgezimmert hatte, saß er auf der letzten, obersten Sprosse. Die Zeit und die Geschichte waren über ihn hinweg gezogen und hatten ihn sich gleich bleiben lassen, nur immer gebeugter auf seinem täglichen, immer mechanischeren Gang zu den vergilbten Zeitungen, zu den zahllosen Büchern in den Magazinen, die irgendwo in den Kellergewölben versenkt waren.
    Ich holte mir vom Büfett ein Stück kalte gebratene Leber, eine Cremeschnitte und eine schale Zitronenlimonade. Auf dem Tisch unter der Glasplatte waren lauter Namen eingeritzt, in deren Schriftzügen sich Krümel angesammelt hatten. Darauf standen Tellerchen mit Senfklecksen, die mit Löffelchen umgerührt worden waren. Ich schluckte langsam und andächtig, die Augen waren vom Lesen leicht getrübt, und mein Kopf schwirrte von Ziffern und Wörtern. In unregelmäßigen kleinen Abständen brummte in meinem Rücken die weiße Kaffeemaschine. Draußen schien es dunkel zu werden, denn hier gingen plötzlich die Lichter an. Um diese Zeit, dachte ich, hat Petru Arcan wohl Sprechstunde.
    *
    Ich hatte ihn schon mehrere Male aufgesucht und, ans Fenster gelehnt, auf dem Korridor gewartet, wobei ich mich von der Gruppe Studenten des Abschlussjahrgangs fernhielt, die über ihre Diplomarbeiten sprechen wollten. Vor lauter Unsicherheit wuchs meine Geduld, und während ich fieberhaft in meinen Notizen blätterte, ließ ich ihnen den Vortritt, weil ich mich plötzlich nicht mehr traute, seine Zeit für meinen Beratungsbedarf in Anspruch zu nehmen. Der Lehrstuhl wirkte verlassen, als ich schließlich eintrat, der Raum verödet, nur ein paar getippte Blätter lagen neben dem Telefon herum, alles erschien mir unwirklich … Mal traf ich Petru Arcan von Erschöpfung und Überdruss gezeichnet an, mal merkte ich, wie sein Blick zu der Uhr am Handgelenkt huschte. Nach einer oder zwei Minuten erhob ich mich, während er mich weiter beriet. Seine Sätze erschienen mir in meiner Zerstreutheit nur noch unverständlich, und langsam ging ich rückwärts zur Tür. Meist rief er mich mit einer Stimme zurück, in der so etwas wie Ärger über meine offensichtliche Oberflächlichkeit mitklang.
    Anfangs hatte ich vorgehabt, ihm zu erzählen, dass ich in der Bibliothek zuerst seine Arbeiten angefordert und gelesen hatte, bebend vor Aufmerksamkeit

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