Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
Vom Netzwerk:
Armbänder und Ringe, die Bernsteinketten, geerbt oder im Pfandhaus gekauft, der Gebrauch ausländischer Kosmetik, den man zu Hause von koketten Müttern erlernte. Die bildeten mitten unter uns kleine kompakte Gruppen, kamen zu Feten zusammen, die uns nicht zugänglich waren, deshalb beobachteten wir sie reserviert und misstrauisch, fürchteten uns vor ihren allzu freizügigen Witzen, vor ihrer Ungezwungenheit und ihren Beziehungen. Ihr Leben erschien uns anders als das unsere und als das anderer Bukarester; auch nach dem Abschluss würden sie nicht von hier weggehen, egal, wohin sie zugeteilt wurden, sie würden eine Weile bei den Eltern bleiben können, bis sie sich arrangierten.
    *
    Ich habe bis zur letzten Minute gelesen, die ich jetzt plötzlich auf dem großen Zifferblatt der Bibliotheksuhr angezeigt sehe. Die Tasche über die Schulter geworfen, renne ich fast und freue mich auf den Fußweg, den ich noch zurückzulegen habe, freue mich, dass ich auf Petru warten und mit ihm reden kann. Du bist von zu Hause weggegangen, als ich dich zu der abgemachten Zeit angerufen habe, sage ich ihm leise, aber ich bin nicht mehr böse, wieso, weiß ich nicht. Ich weiß, dass wir uns noch lange Zeit immer wieder treffen werden, deshalb habe ich keine Eile und verlangsame meine Schritte, es ist wieder die unbestimmte Stunde des Nachmittags, die ich so liebe, sie wirft schlaffe warme Schatten auf den Asphalt, die in der Sonne flattern. Diese senkt sich hinter den Blocks hinab und erfüllt die Luft mit dem fremdartigen Ruf des Abends und der schuldhaften Unrast, die in mir aufsteigt.
    Ich bin, ohne es zu merken, in seinem Viertel angelangt, an meinem eiligen Schritt ziehen vierzig, fünfzig Jahre alte Villen vorüber, Imitationen in florentinischem oder maurischem Stil, feste Steinmauern, überladen verzierte Balkons, Spitzbögen über den Fenstern. Vor den Scheiben hängen Schleier üppigen Efeus, ebenso alt wie die Villen und deshalb so dicht. Sie lassen in den Mauern Augen von seltsamer Form frei, das Blattwerk verschattet die Scheiben, und die Räume dahinter sind dunkel. Jedes der Häuser, an denen ich vorbeikomme, ist nichts als ein merkwürdiges Tier in einem grünglänzenden Schuppenpanzer, strotzend vor sommerlicher Kraft. Die Wahrzeichen der guten Wohngegend, in der ich mich befinde, sind der Efeu und die Linden, unter denen ich gehe. Es riecht welk und scharf süßlich, der Blütenstaub vereint sich mit dem Straßenstaub, den der Wind aufwirbelt, zu langen goldgelben Streifen auf den Gehsteigen. In den asphaltierten Höfen hinter den halbhohen Gitterzäunen blühen auf geometrisch angelegten Rabatten riesige gelbe Rosen ohne Duft. Aus irgendeinem Obergeschoss hört man durch das weit geöffnete Fenster ein Tonbandgerät und das Mitgrölen ausgelassener Halbwüchsiger. Die hohen, elegant sich wiegenden Kinderwagen, denen man begegnet, werden von andächtigen Großmüttern geschoben, immer noch gut aussehenden Damen in sportlichen Hosen oder Röcken mit ergrautem Haar, diskret geschminkt. Irgendwo ist immer noch die Erwartung, sie allein macht mich froh, in meinem neuen Körper bin immer noch ich, die von einst, ich versuche mich des Lebens zu freuen, und mir ist, als könnte ich es auch jetzt noch nicht richtig.
    Ich bin da, ich betrete das kalte Treppenhaus des Blocks aus der Zwischenkriegszeit, die schwarzen Stufen weisen einladend aufwärts, doch ich verharre noch einen Moment vor den Knöpfen des Aufzugs, denen die Zeit und der Gebrauch zugesetzt haben.
    *
    Â»Wieso schweigst du denn die ganze Zeit, geht’s dir nicht gut?«, sagte Mutter und blieb stehen, als sei ihr plötzlich etwas eingefallen.
    Im Gesicht, das sie mir zuwandte, las ich Vorwurf und Schuldbewusstsein. Sie weiß nicht recht, wie sie sich aufteilen soll zwischen mir und ihm, sagte ich mir trotzig und zuckte die Schultern, sie möchte, dass wir glücklich aussehen wie eine wiedervereinte Familie, hat aber vergessen, wie so etwas ist, oder hat es überhaupt noch nie zu sehen bekommen. Auf seine Art erwartet das wahrscheinlich auch Vater, darum streift er mich hin und wieder mit einem argwöhnischen Blick. Ich wusste selbst nicht, wieso ich mich derart widersetzte, vielleicht weil beide so oft auf mich einredeten, vielleicht weil ich zweifelte, dass es wirklich glückliche Familien gibt, vielleicht weil meine Familie ohne Onkel Ion

Weitere Kostenlose Bücher