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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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und zu der Frau, die ein wissendes Lächeln aufsetzte. »Natürlich kennen wir uns, du hast uns doch schon wenigstens dreimal vorgestellt …« Auch sie beugte sich zum Kinderwagen hinab, betatschte den drallen, an den Seitenstreben festgeschnallten Körper und wickelte die Decke enger um ihn. »Wir müssen uns beeilen, Emil«, raunte sie ihm bedeutungsvoll zu, doch er nickte, ohne sich vom Fleck zu rühren, und lächelte uns an.
    Â»Herrliches Wetter, nicht wahr? Was habt ihr für den Urlaub geplant?«
    Â»Mal sehen, ein Gebirgskurort soll’s jedenfalls sein, das Gebirge ist viel gesünder, zumindest ab einem bestimmten Alter«, sagte Vater ausweichend. »Wir haben noch ein paar Schwierigkeiten zu bewältigen. Margareta weiß noch nicht, wann sie eine Vertretung bekommt, die Sommermonate sind bei ihr die Spitzenzeit …«
    Â»Das wird sich bestimmt regeln lassen«, sagte der Herr Emil zerstreut. In seinen Augen flackerte noch die alte Neugier, und er musterte Vater mit verstohlener Anteilnahme. Der Kinderwagen setzte sich jetzt unter dem Druck einer energischen Hand in Bewegung, aber er zögerte noch, uns zugewandt und mit ausgestreckten Händen in der Luft rudernd – vielleicht wollte er sie uns auch zum Abschied reichen, ich wusste es nicht so recht.
    Â»Wie schade, dass Sie ihn nicht mehr lebend angetroffen haben, nicht wahr, den Bruder – den Herrn Silişteanu! Damals hat er oft von Ihnen gesprochen, und die Schwester, also Ihre Frau, eine bewundernswerte Dame, wie es sie in den seltensten Fällen gibt … Ich hoffe, wir sehen uns noch … Eine Zeitlang sind wir noch ziemlich beschäftigt mit dem …« Er wies nach dem Kinderwagen, der kaum noch zu sehen war und schon fast um die Ecke des Boulevards bog, um sich abschließend noch einmal tief vor uns zu verneigen.
    *
    Ich ging neben Vater durch die veränderte Stadt. Dies war das wiederaufgebaute Zentrum, wie ich es oft auf Zeitungsfotos gesehen hatte. Wohl nicht gerade dieses, sondern jene anderer Städte, die dem unseren aber so ähnlich sahen, dass nicht einmal wir sie richtig auseinanderhalten konnten. Vierstöckige Blocks, nur am Ende der Reihe ein Turm, das neue Hotel, im Erdgeschoss Läden mit Konfektionswaren, Sportgeräten, Haushaltstechnik, der große Selbstbedienungsladen. Durch die offene Tür des Büfetts Expres drang das Gegröle der Samstagssäufer. Nur wenige Leute aßen eilig an den Marmorstehtischen, auf den anderen drängten sich die Bierflaschen. An meiner Seite war eine Leerstelle, die ich bis hinauf in die Kehle spürte, es war die von Onkel Ion. In den Pfützen auf dem Gehsteig spiegelten sich die blauen Reklamelichter vom Kaufhaus Universal , dem ersten Neubau der Stadt. Die feuchtkalte Luft war dieselbe wie damals an den endlosen Abenden in der Provinz, von denen mich wohl noch manche erwarteten, ein und derselbe Abend war über mir zusammengeschlagen, ich trug ihn in mir und würde ihn wohl nie mehr loswerden. Damals wusste ich nicht, wie viel Zeit mir gegeben war, aber eines wusste ich, hierher wollte ich nicht zurückkommen, niemals. Deshalb saß ich Stunde um Stunde auf meinem Stuhl in der Bibliothek, überprüfte Jahreszahlen und Daten, blätterte immer hastiger. Die Erinnerung an Jahrgänge vor meiner Zeit blieb undeutlich, aber sie drang bis ins Wohnheim, über dieselben Korridore waren seinerzeit Mädchen gelaufen, von denen ich erfuhr, dass sie es ans Institut geschafft hatten, an der Fakultät geblieben waren. Jedes Jahr geschahen solche Wunder, es kam allerdings nicht nur auf die Noten an, sondern auch auf die politische Tätigkeit, zu der ich mich nicht imstande sah und für die ich im Übrigen auch nicht in Frage kam, weil man (wieso eigentlich?) meine Widersetzlichkeit spürte. Auch auf unserer Etage im Heim wohnte eine Assistentin, die sich etwas steif und fremd unter uns bewegte. Wenn ich sie sah, beobachtete ich sie mit neugieriger Bewunderung, obwohl es ihr noch nicht gelungen war, ihr Leben auf das der Stadt einzustimmen. Im Vergleich zu den neuen Jahrgängen wirkte sie gewöhnlich verkrampft, und ihre Kleider glichen noch sehr den unseren. Ihr fehlte die feine Ausstrahlung ihrer Bukarester Studentinnen aus gutem Haus. Die Gewandtheit, mit der diese die Mode ausländischer Zeitschriften übernahmen, die Sachen aus dem Westpaket, die silbernen

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