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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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nie mehr eine ganze sein würde.
    Â»Ich gehe mir die Zeitung holen, ich warte nicht mehr auf die Post«, sagte Vater und entfernte sich plötzlich, diskret oder verärgert.
    Â»Dauernd schmollst du … Was meinst du denn, wie soll er dir dann näherkommen? Du solltest bedenken, ihm fällt das auch schwer, nach all den Jahren, und er hat doch die besten Absichten …«
    Da haben wir’s, jetzt hat sie auch schon seine Floskeln übernommen, sagte ich mir und verzog das Gesicht. »Ich habe nur die besten Absichten, bei allem, was ich unternehme«, wiederholte Vater mehrere Male täglich.
    Â»Was tue ich ihm denn? Wenn er mich was fragt, antworte ich, was soll ich ihm denn sonst sagen?«, gab ich zurück und wollte sie mit meiner Gleichgültigkeit verletzen.
    Ich wusste nicht genau, wieso, aber ich hätte es gern gehabt, dass es ihr leidtat, derart versöhnt vom Friedhof zurückzukehren. Sie ist eine Frau, ganz einfach eine Frau, das ist alles, sagte ich mir und hütete mich vor ihrem Blick, da kann sie noch so oft sagen, sie hätte ihn nicht vergessen … Sie will es gar nicht wahrhaben, dass sie nur noch aus Gewohnheit zu Onkel Ion geht, Vater dessen Platz aber ganz und gar eingenommen hat.
    Irgendwie hatte Vater auch mir den Platz weggenommen, zumindest erschien es mir äußerst befremdlich, dass sie sich mit jemand anderem genauso viel abgab wie mit mir. Wahrscheinlich glaubt sie noch immer nicht so recht daran, dass er zu ihr zurückgekehrt ist, sie fürchtet ständig, wir könnten ihn nicht zufriedenstellen und er würde wieder gehen, sagte ich mir schadenfroh und warf ihr einen giftigen Blick zu, nahm mich aber sofort wieder zurück. Ihre tiefliegenden Augen standen voll Tränen, aus ihren Lippen war alle Farbe gewichen. Sie ist beinahe eine alte Frau, dachte ich verwundert, und mit einem Mal wurde mir bewusst, wie schwer es ihr fallen würde, wieder die Einsamkeit zu ertragen, und wie wenig Platz sie eigentlich in meinen Gedanken einnahm.
    Â»Lass nur, wir werden uns gewöhnen und alles wird anders mit der Zeit, du wirst sehen«, flüsterte ich und nahm ihren Arm.
    Ich hasste ihre Tränen, die mich gezwungen hatten, dies zu sagen, obwohl ich es nicht glaubte. An mir lag es nicht, dass ich Vater nicht ähnelte und er mir nicht nahe war. Aber vielleicht haben sie ja auch recht, sagte ich mir, wenn auch ohne Überzeugung, wie unangenehm es doch ist, wenn jeder ein bisschen recht hat, und vor allem wie unangenehm, wenn man es einsieht. Irgendwie ärgerte es mich wohl, dass ich sah, wie auch sie etwas Neues anfangen wollte und alles bisher Erlebte zur Seite schob. Als hätte nur ich dieses Recht, als müsste das Leben nur für mich immer neu beginnen.
    *
    Petrus Blick folgt mir unruhig, weil ich schweige. Ich spüre ihn in der Schwärze des Zimmers, ich ahne, was er sich fragt; ich schließe die Augen und schmiege meinen Kopf möglichst fest an seine Schulter, es ist so gut und beruhigend, seine Fürsorge zu spüren. Dennoch weiß ich, dass ich nichts werde sagen können; hin und wieder erfasst mich ohnmächtige Trauer bei dem Gedanken, dass ich jede von Onkel Ion geschriebene Zeile, seine ganze sterile und abgehobene Selbstlosigkeit entweihe. Meine als Hingabe getarnte Anstrengung hat von vornherein Petru gegolten, auf ihn lauert meine Eitelkeit im kühlen Halbschatten des Zimmers. In meinem Rücken hat sich das Dunkel verdichtet und verfilzt sich in dem fremd wirkenden Zimmer. Wenn ich mich umdrehe, ragen die schwarzen Möbel vor mir auf, und ich belauere sie abwartend. Deshalb bewege ich mich auch gar nicht mehr und verharre wie auf ungewisser Schwelle. Das Licht dringt aschgrau durchs Fenster, mit roten und grünen Striemen von den fernen Leuchtreklamen.
    Â»Schauen wir mal, was du noch gemacht hast«, sagt Petru und geht zum Lichtschalter.
    Ewas schwankt in mir, ich möchte ihn davon abhalten, aber dazu ist es zu spät. Die Glühbirnen des schweren Lüsters tauchen die gezähmten Dinge, die nun nicht mehr in der Unbestimmtheit des Abends aufgehoben sind, in ein fahles Gelb. Ich spüre, wie dieses Licht mich zerreißt, während ich die zerknüllte Überdecke wie eine bunte Toga um mich schlage und ins Bad gehe, um mich anzuziehen.
    Als ich zurückkomme, sehe ich, wie er am Schreibtisch den Anfang des Artikels liest, den ich aus dem Kapitel des Onkels irgendwie

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