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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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die unsichtbare Schwelle, die ich erahne, hier ist der Mittelpunkt der Welt, hier ist das ganze Universum. Ich weiß nicht, ob seine Gestalt jene Welt reflektiert, die ich suche, oder ob jene Welt ihm diese Kraft gibt, die mich erbittert.
    *
    Â»Es war gut, dass wir diesen genommen haben«, sagte Vater und schloss mit Bedacht die Tür des Kühlschranks; sanft strichen seine Fingerkuppen mit den harten trockenen Nägeln darüber, dann brachte er die kältebeschlagene Wasserflasche auf den Tisch. »Ich verstehe nicht, wieso ihr in den Jahren, als es immerhin schon etwas gab, nichts gekauft habt … Ion hatte eben bei all seinen Vorzügen, und ich bin der erste, der sie anerkennt, überhaupt keinen Sinn fürs Wirtschaften, das weiß ich noch sehr gut …«
    Er nahm, geschäftig und zufrieden, im Sessel Platz, dann hob er das Tellerchen mit dem Kompott zum Mund. Es war die Zeit, zu der Onkel Ion immer den Nachmittagskaffee kochte, jetzt aber wurde kein Kaffee mehr getrunken, Vater hatte nämlich Magenbeschwerden.
    Â»Ich meide jede Aufregung, den Alkohol, den Kaffee, dort, wo ich war, habe ich sogar auf die Zigaretten verzichtet, das ist das einzig Gute, das ich von dort mitgebracht habe«, sagte er. »Ab einem bestimmten Alter muss man auf sich achtgeben und sich gesund erhalten, das ist eine Pflicht …«
    Immerhin trank Mutter morgens noch Kaffee. Jetzt spürte ich ihre Anspannung, sie war drauf und dran, ihm zu antworten, ihre Empörung war allerdings konfus, sie gab ihm ja, logischerweise, recht. Deshalb klang die Stimme, mit der sie Worte der Entschuldigung sprach, feindselig.
    Â»Du meinst wohl, wir wären auf Rosen gebettet gewesen … Wir hatten noch nicht mal eine Wohnung, wie hätten wir da an einen Kühlschrank denken können, wo hätten wir den überhaupt hinstellen sollen?«
    Â»Ab dem Herbst, sobald wir den Fernseher gekauft haben, werden wir für ein Auto sparen … Wir müssen diese Jahre nutzen, die ich noch nicht in Rente bin, denn danach …«, entgegnete er gelassen und nahm sich ein weißes Blatt Papier vor.
    Jeden zweiten Sonntag schrieb er Briefe an seine Schwägerin und an die einzige Schwester, die er noch hatte, er schrieb sie schnell, während er mit uns redete, und am Schluss las er sie uns laut vor.
    Â»Hier werde ich sehr geschätzt, der stellvertretende Direktor selbst hat mir dieser Tage gesagt, ein Mann wie Sie hat uns hier gefehlt, das ist jetzt mein Beruf, habe ich ihm gesagt, früher habe ich operiert, aber aufgrund widriger Umstände musste ich lange Zeit unterbrechen, ich glaube, er hat verstanden, was ich damit sagen wollte. Also habe ich von mir aus verzichtet, habe ich ihm gesagt, freiwillig. Man muss immer selbst merken, wenn es nicht mehr geht, und rechtzeitig aufhören, damit einen nicht andere verdrängen.«
    Von meinem Platz aus sah ich Mutter, wie sie sich im Badezimmerspiegel betrachtete. Immer öfter überraschte ich sie in letzter Zeit dabei, wie sie ihre grauen Haare ungelenk zu richten versuchte, wenn sie auch zögerte, sie auf Vaters Rat zu färben, oder die geschwollenen Ringe unter den Augen abtastete. Vielleicht hatte sie meinen Blick gespürt, oder es war nur das Aufbegehren einer Frau, die ihr Leben lang nie kokett gewesen war. Jedenfalls nahm sie den Kamm und strähnte die allzu straff eingedrehten Locken ihrer neuen Dauerwelle aus, dann wandte sie ihr Gesicht plötzlich vom Spiegel ab und vergaß es sofort. Sie setzte sich auf den Stuhl neben Vater und kreuzte die Arme im Schoß.
    Â»Du hast große Pläne, und das ist recht so, aber …«, begann sie.
    Ihre Stimme, in Härte geübt, sollte weich klingen, doch die Unzufriedenheit war nicht zu überhören. Ich streckte mich auf ihrem Bett aus, ein Buch in der Hand, las eine Zeile nach der anderen, ohne irgendetwas zu behalten.
    Â»Der Mensch muss immer nach dem Besseren streben, das liegt in seiner Natur, selbst wenn die Umstände ungünstig sind«, predigte Vater. Er nahm den Briefumschlag vom Tisch, befeuchtete ihn mit der Zunge, steckte den Brief hinein und klebte ihn dann zu, indem er mit der Faust dumpf auf dem Tisch herumhämmerte.
    Â»Du hast natürlich einen weiteren Blick, aber im Herbst wird es schwieriger, als es jetzt ist, LetiÅ£ia fährt zur Fakultät, wir müssen ihr dieses Jahr einen Mantel machen lassen, und dann ist auch

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