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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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noch das Geld, das wir ihr jeden Monat schicken …«
    Â»Das Kind sollte sich früh daran gewöhnen, mit Schwierigkeiten zurechtzukommen, sonst ist es nicht darauf vorbereitet, ins Leben einzutreten …« Nur an Vaters Hals fältelte sich die welke Haut, ansonsten war sein untersetzter Körper straff und sein Schritt fest, als er aufstand und den Einschaltknopf des Telefunken-Radios betätigte. »Das Radio verkaufen wir, ich habe schon mit jemandem gesprochen«, sagte er und ging zur Tür.
    Zu dieser Zeit lief er hinunter und holte die Zeitungen aus dem Briefkasten, deshalb ballte sich mitten in meiner Brust ein riesiges Knäuel Unruhe, der meine Hände und Füße plötzlich erkalten ließ.
    Ich kauerte mich zusammen, schloss die Augen und wartete, wartete in einer Dumpfheit, die nur durch das Pochen des Blutes in den Schläfen belebt wurde. Erst ganz spät, etliche Minuten später, hörte ich seine Schritte die Treppe heraufkommen, seine Hand die Klinke herabdrücken und dann seine Stimme teilnahmslos sagen: »Da, du hast eine Ansichtskarte …«
    Mutter schnellte von ihrem Stuhl hoch und wollte sie mir aus der Hand nehmen, ich aber legte sie gelassen in mein Buch. Ich hatte Petrus Schrift erkannt und die in blauem Glanz erstarrten Meereswellen auf dem Foto gesehen.
    Â»Demnächst ist auch noch die Hochzeit von Marta«, rief ich ihnen mit vergnügter Stimme in Erinnerung und begann zu lachen.
    Ihre Gesichter verfinsterten sich.
    Â»Ja, richtig, da steht auch noch ein Geschenk an«, sagte Mutter. Sie nahm wieder ihre Handarbeit auf. Zwar verkaufte sie keine Pullover mehr wie damals, aber das Stricken war ihr zur Gewohnheit geworden. Sie trennte unsere alten Jacken auf und arbeitete sie um, jetzt strickte sie an einer Winterweste für Vater.
    *
    Ich weiß nicht, wo das Foto von ihrer standesamtlichen Trauung später hingekommen ist, das auf den Rathaustreppen aufgenommen wurde. Marta hatte natürlich weiße Gladiolen im Arm, und wir alle kniffen in der Julisonne die Augen zusammen. Wir blickten wahrscheinlich in den öffentlichen Park mit Rabatten, in denen rote Blumen die Schriftzüge kurzer Losungen nachzeichneten, zu den leeren Bänken und vor allem zur Statue des Achtundvierziger-Revolutionärs Nicolae Bălcescu, der in der Nähe der Stadt sein Gut gehabt hatte. Wir wussten, dass er es war, sein Name stand auch mit großen bronzenen Lettern auf dem Sockel, sonst hätten wir vielleicht seinen eckigen Körper nicht erkannt und auch nicht die rhetorische Geste, mit der er eine grob gearbeitete Faust demonstrativ zum Dach des neuen Postgebäudes und zu den Gerüsten auf dem Neuen Korso emporreckte. Sie haben ihn Lenin und Stalin ähnlich gemacht, hatte Onkel Ion verärgert gebrummt, als er das Standbild sah. Dabei hatte sich alle Welt gefreut, als die Statue wenige Monate zuvor im Park enthüllt worden war. Es war immerhin die einzige in der Stadt, früher hatte es eine andere gegeben – wahrscheinlich von George Brătianu, dem Ministerpräsidenten der Zwischenkriegszeit –, daran erinnerte sich aber kaum noch jemand. Nachdem man sie über Nacht abmontiert hatte, hatte der niedrige, grün bemooste Sockel noch eine Weile da gestanden, doch als man den auch abgeräumt hatte, war der Platz an der Wegkreuzung, der im Volksmund »Bei der Statue« hieß, leer geblieben.
    Â»Es hat so sollen sein«, raunte mir Martas Mutter zu und lauerte auf die Missbilligung in meinen Augen. »Wir hatten einen Jungen aus guter Familie für sie ausgeguckt, alles war abgesprochen, aber sie wollte nichts davon wissen … Nun, was will man tun, ich weiß, dies ist ihre große Liebe, es hatte keinen Sinn, da einzugreifen«, seufzte sie. »Bedient euch doch bitte, nur zu …«, rief sie plötzlich und lief fuchtelnd zwischen den Tischen mit Vorspeisen und Schnaps hin und her.
    Da fiel mir Barbu ein, er hatte mich an dem Tag besucht, als ich mich auf den Weg nach Hause machte. Am Morgen hatte die staatliche Stellenzuteilung stattgefunden, und er war, wie ich erwartet hatte, in einem Dorf in der Moldau gelandet. Sein Gesicht war zerknittert vor Schlafmangel, die Schuhe völlig verstaubt, er hatte wer weiß wie viel sonst noch zu laufen gehabt an jenem Tag. Er redete viel, sagte aber nur ein und dasselbe, er habe nicht die Absicht, dorthin zu gehen, und werde alles

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