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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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einzuschlafen, wobei ich gerade durch diese Anspannung immer wacher wurde. Irgendwann hatte ich es aufgegeben und mich ohnmächtig diesen Minuten oder Stunden ausgeliefert, in denen mein Hirn fieberhaft pulste und mir Klarsicht vorgaukelte. Jede Geste und jedes Wort von Petru an jenem Abend, als wir uns zuletzt gesehen hatten, gewannen jetzt eine demütigende Bedeutung und hatten mit Liebe nichts mehr zu tun. Wie konnten dieselben Gesten und dieselben Worte nur so Gegensätzliches bedeuten? All das, von dem meine leidenschaftliche Erregung den ganzen Sommer gezehrt hatte, erschien mir jetzt als Beweis seiner Gleichgültigkeit. Er war so weit weg von allem, was ich erlebt und empfunden hatte, dass ich mich jetzt zähneknirschend im Bett herumwarf und späte Rachepläne schmiedete, die ich erst beim hellen Licht des Tages als undurchführbar erkannte. Alles, was ich für ihn bedeutete, alles, was er für mich bedeutete, legte ich jetzt auf die Goldwaage. Irgendwo am Anfang liegt der Fehler, sagte ich mir, vielleicht in dem Gefühl der Erniedrigung, das über mir zusammengeschlagen war. Von der inneren Unruhe ermüdet, wartete ich nur noch den Augenblick der Erschlaffung ab und glitt endlich zurück in den Schlaf, mitsamt einem immer zäheren, immer unförmigeren Wust von Gedanken. Stunden später, oder auch gleich danach, hörte ich die ersten Badezimmertüren knallen, das Rauschen der Duschen, den dumpfen Schwall der Klospülung. Im Zimmer klapperte jemand mit dem Kofferdeckel, wahrscheinlich Nana, sie stand immer als Erste auf. Dann ihre Schritte in Richtung Tür, der Stuhl, gegen den sie stieß.
    Â»Ich war sicher, dass du dagegenrennst«, kicherte Marilena.
    *
    Es war seit einer Woche das erste Mal, dass ich sie lachen hörte, und ich fragte mich, was nun wohl mit ihr und Sandu los war, wieso sie mir den ganzen Sommer über nicht geschrieben hatte, wieso sie nicht geheiratet hatten, wie sie uns irgendwann gesagt hatte, wieso sie wieder im Heim wohnte und nicht in dem Zimmerchen, das sie im Frühjahr ausfindig gemacht hatten. Ich erinnerte mich an das eine Mal, als ich sie besucht hatte und in den Gässchen um die PiaÅ£a Chibrit herumgeirrt war, an die Holztreppe mit morschem Geländer, das unter meinem Griff wackelte, den ranzigen Gestank auf dem Flur, die rissigen Türen, hinter denen schrille Stimmen und Kindergeschrei zu hören oder durch die schon mal eine Kloschüssel mit angeschimmeltem Holzdeckel in rostigen Scharnieren zu sehen waren. An ihren mürrischen Gesichtern merkte ich sofort, dass ich ungelegen kam, vielleicht hatten sie gerade Streit gehabt. Ich blieb im Mantel auf der Schwelle stehen. Auf dem Gasbrenner in der finsteren Diele köchelte ein Eintopf. Als Sandu mich sah, kroch er sofort ins Bett und zog das zerknüllte graue Laken über die nackten weißen Beine. Der gestreifte Schlafanzug stand weit offen über der behaarten Brust, es fehlten zwei Knöpfe. Er lag da und lutschte an einer Karies, die wie ein an einem Schneidezahn klebendes kleines Samenkorn aussah. Auf dem Tisch stand ein einziges Glas, aus dem ich Wasser trank, Sandu setzte die Füße klatschend auf den Boden, holte eine Flasche Mineralwasser unter dem Bett hervor und trank daraus mit großen Männerschlucken, die man glucksen hörte. Ich stand auf und reichte Marilena linkisch das Heft mit den Vorlesungen, in das ich die fünfundzwanzig Lei gelegt hatte, die sie von mir leihen wollte. Sie kam mit mir bis zur Treppe, ohne etwas zu sagen. Erst dort sah sie mich achselzuckend an, lehnte den Kopf an meine Schulter und schluchzte. Ich wusste nicht, ob sie weinte oder lachte, es war ganz dunkel da an der Treppe.
    Jetzt ging das Getuschel los, ein fortwährendes hektisches Summen. Gereizt drehte ich mich zur Wand, als plötzlich die Verrückte von Zimmer 27 die Tür aufriss und schrie: »Das warme Wasser ist alle …«
    Sie erwiderten aber nur: »Ssst«, und kicherten verstohlen.
    Ich wusste, dass sie dabei auf mich zeigten, und mir war klar, jetzt war es so weit, ich musste auch raus aus dem Bett in dem kalten Zimmer, denn die Heizung ging nicht und es regnete seit einer Woche, seit ich Petru zum letzten Mal gesehen hatte.
    *
    Unter der nach und nach kälter werdenden Dusche versuchte ich mich zu freuen, verspürte jedoch nichts als einen ungewissen Trost bei dem Gedanken, dass ich in diesem nach drei Seiten mit

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