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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Tribüne noch die Megaphone werden abgebaut sein, aus denen gestern eine kräftige Stimme rief: »Zusammenbleiben …, Kopf hoch, Brust raus, so, nicht rennen, nicht rennen … Achtung, die Kolonne rechts … So, so, Blumen und Fähnchen schwenken …« Überlagert wurde diese Stimme durch jene des Rundfunksprechers, die ratternd von der Kundgebung der Werktätigen in der Hauptstadt berichtete. »Jetzt nähert sich ein Themenwagen der offiziellen Tribüne, es sind die tüchtigen Arbeiter von …«
    Wie immer nach der Kundgebung, schon wenige Stunden nach deren Ende, wird die Stadt verödet sein, auf der Schnellstraße werden die Autos in Richtung Gebirge rollen, und von dort werden uns neue graue Wolken entgegenquellen, vom Zickzack der ersten Blitze rot durchzuckt. Der Regen wird unmerklich mit scharfen kalten Nadeln einsetzen, anfangs wird ihm niemand Beachtung schenken, und dann werden alle rennen und in den noch nicht abgerissenen feuchten Durchgängen Unterschlupf suchen. So wird es die ganze Nacht hindurch regnen, und morgens, wenn ich aufwache, werde ich den Himmel immer noch grau vorfinden. Spät wird der Wind immer größere blaue Augen darin aufreißen. Am Nachmittag wird es wieder heiter sein, aber die weißen Wolken werden von dem kalten und durchsichtigen Sonnenlicht allzu grell erstrahlen. Auch das Licht wird von jetzt an ein anderes sein, es wird eine unnahbare Ferne in sich tragen, die starren Blätter mit holzigen Adern werden ein erstes Mal rauschen, und zwischen den Zweigen werden unendlich lange Spinnwebfäden glitzern wie Schleimspuren von Schnecken. Der Robinie werden die Blätter davonfliegen, und vom Fenster unserer Wohnung aus werde ich es dankbar zur Kenntnis nehmen. Ich werde wissen, es ist der erste Tag des beginnenden Herbstes und es dauert nur noch ein paar Wochen, nicht einmal einen ganzen Monat, bis das Studienjahr beginnt, bis ich Petru wiedersehe.

Kapitel XXI
    U nablässig regnete es unter dem niedrigen Himmel, immer das gleiche Wasser, das die aschgraue Luft dermaßen vernebelte, dass ich schon beim bloßen Anblick fröstelte. Nur gut, dass ich wenigstens das Schlangestehen um Essensmarken, die Zuteilung des Zimmers, das wieder nach Neuem und nach Provisorium roch, das Einräumen des Schranks hinter mir hatte. In der ersten Woche in Bukarest hatte ich wieder bei Biţă gewohnt. Es war dasselbe Brausen der Straße, das bis in seine Junggesellenwohnung drang, dasselbe Badezimmerregal mit Palmolive, es waren dieselben abgegriffenen Ledereinbände der Bücher in der Bibliothek, die paar alten Ausgaben der L’Humanité , die herumlagen, wo man sie am wenigsten erwartet hätte. Abend für Abend baute ich mir das Klappbett in der Kochnische auf, wobei ich sein vertrautes Geschwätz kaum beachtete. Verstohlen beobachtete ich seinen mittlerweile schwerfälligeren Gang und die großen fleischigen Hände. Ich zuckte zusammen bei seiner verhalten ärgerlichen Mahnung: »Was hast du denn vor mit dem Kaffee, meine Liebe? Kann man sich denn gar nicht auf dich verlassen?«
    Plötzlich entdeckte ich darin Onkel Ion und merkte enttäuscht, wie ich ihn schon bei der nächsten Geste wieder verlor, die, wie ich wusste, nur Biţă eigen war. Er klimperte mit den mädchenhaft langen Wimpern, und sein gedunsenes Gesicht verzerrte sich bei dem krampfhaften Versuch, das Lachen zu unterdrücken. Ich blieb stehen und starrte ihn unverwandt an, ich versuchte die beiden auseinanderzuhalten. Doch zum Schluss hatte ich nur diesen hier, der andere war ausgelöscht, und mir blieb nichts anderes übrig, als traurig den einen in dem anderen zu suchen.
    Die Mädchen machten sich ans Lesen, die Strickjacken eng um die frierenden Schultern gezogen. Ich müsste auch anfangen, sagte ich mir, während ich weiter zwischen Nachtschränkchen und Fenster auf- und abging. Lustlos kramte ich nach einem Heft, wobei ich schon den Stich der Unruhe kommen sah, der meinen Gedankengang unterbrechen würde. Immerhin war ich als Erste erwacht und hatte schon durch meinen dünnen Schlaf unter dem noch nächtlich grauen Fenster den Lärm der ersten Straßenbahnen gehört, der die morgendliche Stille durchbrach. Mit einer undeutlichen Ahnung dessen, was kommen würde – denn seit einer Woche begann jeder Tag wie der andere –, hatte ich vergeblich versucht, wieder

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