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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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mehr da gewesen bist … Ich habe versäumt, es dir früher zu sagen …«
    Â»Danke«, wisperte ich und reichte ihm die Hand.
    Freudige Unruhe überkam mich, ich wusste, das war’s, ich wusste, wie ich ihm nachsehen würde, um sicherzugehen, dass er den Hof des Wohnheims verlassen hatte, wie ich auf die Uhr schauen würde, um einzuschätzen, ob Petru schon zu Hause war, wie ich zum Telefon gehen würde und es mir dort, die Münze in der Hand, anders überlegen würde, lieber erst in einer halben Stunde, würde ich mir sagen und in die um diese Zeit fast leere Kantine hetzen, mich an den Tisch setzen, wo die Mädels schon beim zweiten Gang waren, lustlos ein paar Bissen hinunterwürgen und gleich wieder aufstehen. »Ich hole mir was aus der Konditorei …«, werde ich sagen, genervt von ihrer Fragerei. Ohne eine weitere Antwort werde ich genauso gehetzt gehen, wie ich gekommen bin, nichts mehr hören außer meinem wummernden Herzschlag, werde über die Allee eilen bis zum entferntesten Telefon, mit vor Angst wie in der Sitzung zitternden Händen die Tür der Zelle öffnen und in allen Taschen nach der Münze suchen, die ich gerade dann nicht finden werde, und mich fragen, ob er nicht vielleicht Besuch hat oder jemand bei ihm ist und seine Stimme nicht allzu hastig oder zu höflich klingen wird.

Kapitel XXIII
    U nd du willst mir nicht sagen, warum du dich nicht mehr gemeldet hast …«, lachte er; gemächlich streckte er die Hand aus, nahm den seitlich abgelegten Telefonhörer und ließ ihn umsichtig auf die Gabel sinken. »Auf gar keinen Fall willst du das …«, wiederholte er ebenso zerstreut und ebenso fröhlich.
    Offenbar erwartete er keine Antwort von mir, als wüsste er sie schon im Voraus. Wusste er sie oder nicht? Jedenfalls wusste er etwas anderes als ich. Verärgert zog ich die Decke über meine frierenden Schultern, sie war ganz verknäuelt, ich hätte aufstehen und sie geradeziehen müssen, aber dazu hatte ich nicht die Geduld. Ich kauerte mich darunter und rammte meine Fersen in die Matratze, die metallen knirschte. Der Abend legte sich sanft wie Rauch über die Möbel, doch wir taten, als merkten wir es nicht, und zögerten noch eine kurze Weile, den Lichtschalter zu betätigen. Hatte er den Hörer aufgelegt, weil er auf etwas wartete, oder war es Zufall? Ich versuchte seine Gesichtszüge im grauen Abendlicht auszumachen.
    Â»Soll das heißen, du bist böse? Daran habe ich auch gedacht, aber ich kann mir nicht vorstellen, wieso …«, hakte er kurz darauf nach.
    Ich hatte den Eindruck, er kam nur darauf zurück, weil er sonst nichts zu sagen wusste. Was hätte ich ihm denn erklären sollen, wenn er nicht einmal merkte, worüber ich böse sein könnte oder nicht? Nach wie vor verkrampft, horchte ich auf den Ton seiner Stimme, lauerte auf jede Kopfbewegung.
    Â»Räumst du bitte die Gläser weg?«, sagte er.
    Die Gesten der Liebe waren nach wie vor selten und führten nur fort, was ich schon kannte, die Unruhe, mit der ich darauf wartete, hatte mich weiterhin im Griff. Ich stand auf, und tief berührten mich für einen Augenblick seine wehmütig verschleierten Augen, wie ich sie nur zu gut kannte, weil stets so die Umarmung begann. Auch an seiner Seite hatte ich weiterhin Sehnsucht nach ihm, mein Körper brannte, mein Mund war ausgetrocknet. Ich ballte die Fäuste, bohrte meine Nägel tief ins Fleisch, senkte mein Gesicht, damit kein Geständnis zwischen den Lidern hindurchsickerte. Das war nicht nötig, er kannte es, er war sich seiner nur zu sicher, deshalb würde er mich nie aufsuchen. Deshalb fragte er mich lachend, wieso ich mich nicht mehr gemeldet hatte, deshalb schien er sich an mich erst zu erinnern, wenn meine Stimme aus dem Hörer ihn in seinem geheimnisvollen Zimmer aufscheuchte.
    Â»Du darfst dich nicht verspäten wie damals, du sollst keine Unannehmlichkeiten haben, ich will dir keine bereiten …«, sagte er und ging zum Kleiderhänger, meinen ballonseidenen Mantel holen.
    In seinen Worten, die fürsorglich wirken sollten, spürte ich nur, wie er sich vorsichtig von mir entfernte. Es war der Augenblick, in dem unsere Welten sich langsam trennten, jede sich allein weiter drehte, damit sie sich irgendwann wieder ein paar Stunden lang berührten. Er ging auf und ab, füllte das Zimmer mit den

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