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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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am Tisch lapidar unter »ferner liefen« abgetan. Mein Bild von ihm und ihres begannen sich zu decken. Ich weiß aber nicht, wieso es wehtat, dass ich ihn plötzlich anders zu sehen begann. Irgendwann, dachte ich mir, muss er genauso unbeholfen wie ich versucht haben, voranzukommen, auf die Gesten in der Umgebung gelauert haben, um sie zu lernen und sie nachzumachen, auch er hatte wie ich Einlass begehrt in eine ersehnte fremde Welt und war, ohne allerdings den vergilbten Packen mit den Arbeiten des Onkels zur Hand zu haben, mit ein paar selbstbeschriebenen Bogen Papier über die dunklen Korridore geirrt, hatte in einem Büro, das ihm allzu prächtig, allzu hell erstrahlte, schüchtern seine bewundernde Unterwürfigkeit ausgebreitet. Hinter den jungenhaften Bewegungen, die ihm geblieben waren, sah ich den grauen Internatsbau heraufdunkeln, wo er aufgewachsen war zu der Zeit, als er anhand des Klassenbuchs noch als Arcan Petre aufgerufen wurde, nicht mit dem gehobenen Namen Petru. Anders verstand ich jetzt sein zustimmendes Lachen am Telefon, die gut geschnittenen Anzüge, die er trug und nach denen er damals so geschielt hatte; bis in alle Einzelheiten konnte ich mir vorstellen, was jene unbekannte, schick gekleidete junge Frau für ihn hatte bedeuten können, die ich im Beratungszimmer und auf dem zufällig entdeckten Foto gesehen hatte … Jenes Mädchen, das dann seine Frau werden sollte, von der er sich vielleicht auch deshalb so schwer gelöst hatte, weil sie für ihn die Welt bedeutete, zu der zu gehören er sich so lange gewünscht hatte.
    Begriff ich das alles schon damals so klar, oder sollte ich es erst viel später neben vielem anderen verstehen? Vielleicht begriff ich gar nichts, sondern saß nur einsam da, die Wangen auf den Knien, traurig, dass seine Gestalt immer kleiner wurde, während er übereifrig das Büro des Professors betrat, wo er nachts allein an den Artikeln arbeitete, die sie gemeinsam veröffentlichen sollten, während er sich die kleinen Kompromisse ausrechnete, um am Ende des Weges einen mit Zauberkräften ausgestatteten eingetragenen Wohnsitz in Bukarest zu haben, wie ich ihn mir selbst erhoffte. Wie weit lagen doch die arbeitsreichen Nachmittage von Onkel Ion zurück, die nirgendwo hinzielten, wie weit weg und wie sinnlos erschienen sie mir jetzt. Ich begriff nur unsere eigenen Handlungen, die von Petru, meine eigenen, die der Leute um uns … Meine verzweifelte Intuition ließ mich die Ereignisse, die Gestalten der Menschen, ihre Worte, die stets etwas anderes verschwiegen, verzerrt wahrnehmen. Alle hatten ihr nahes und klares Ziel und strebten darauf zu, auch ich hatte es bis jetzt eigentlich genauso gemacht. Wissen, was man will, und irgendwie erreichen, dass die eigene Unterordnung nicht umsonst ist, sondern Früchte trägt in dem Schatten, in dem man heranwächst – wieso tat das alles so weh, und wieso verstand ich es so gut? Vielleicht würde der Tag kommen, an dem ich es abstreifte oder einfach hinnahm, ohne dass es schmerzte. Ich wusste nur, dass ich meinen Schmerz, solange es ging, verheimlichen und weiter durch ihn hindurchgehen würde. In einem Spinnennetz, in dem ich mich noch nicht so recht bewegen gelernt hatte und dennoch vorankam in der ständigen Hoffnung, dass sich jemand um mich kümmern, dass jemand meine Schritte beschützen würde. Während ich meine Vorsicht ständig hinter naiven Augen verbarg und versuchte, meine alte Angst zu vergessen, Onkel Ions Scheitern im Sinn zu behalten und es zu vergessen. Es würde mir nichts ausmachen, dass ich hin und wieder merkte, wie ich mich getäuscht hatte, ich würde weitergehen, auf jeden Fall.
    Deshalb hätte mich Petru eigentlich anders aufnehmen müssen, dachte ich, oder vielleicht hat er mich gerade deshalb so aufgenommen. Ich war er, gleich im ersten Augenblick musste er bei mir seine eigenen verkrampften Gesten von damals, das ergebene Schweigen erkannt haben. In der Gewissheit, dass ich wiederkommen würde, hatte er mich nie aufgesucht und nur auf mich gewartet, deshalb würde er mich auch nie aufsuchen oder vielleicht, wer weiß, gerade deshalb zu mir zurückkommen. Er war jetzt Teil der Welt, die er sich gewünscht hatte, zu mir zog ihn die Nostalgie seiner Anfänge, zu denen er sich, erst jetzt, ungeniert bekennen konnte.
    Das alles tat mir zwar noch weh, aber dabei wusste ich schon, dass ich es

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