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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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immer weiter den Lichtern nach, die die Küstenlinie nachzeichneten. Die Straße funkelte feucht im Licht der Scheinwerfer, und die Trottoirs zogen sich endlos an den Blocks entlang, fast hätte ich vergessen, wo ich war, während ich schweigend neben ihnen einherging, fast hätte ich’s vergessen, als er mir plötzlich in die Nase stieg, der Geruch des Meeres. Er kam irgendwie von der Seite, aufwühlend stickig, geschwängert vom Algengestank. Da erst vernahm ich in dem verhaltenen Raunen des Abends die dumpf ans Ufer brandenden Wellen und danach den Kies, wie er endlos rieselnd mitgeschwemmt wurde. Der Geruch des Meeres schwand, vielleicht hatte ich mich an ihn gewöhnt, aber das Ohr nahm weiterhin wahr, wie es beruhigend in mir mitschwang.
    *
    Â»Fünfzehn Vorträge habe ich auf Lager«, sagte Iliescu. »Natürlich haben andere mehr, aber für meine Verhältnisse, in unserer Abteilung, bin ich ganz gut dabei.«
    Er nahm zögerlich einen Zahnstocher vom Tisch, sah sich noch einmal unschlüssig um, dann hielt er die eine Hand als Sichtschutz vor die schwarze Mundhöhle, in der er mit langsamen Bewegungen zu bohren begann.
    Â»Leg noch vierzig drauf, dann bist du gleichauf mit dem Professor – und dann noch ein paar Abhandlungen, die dir noch fehlen«, lachte der Dunkelhaarige mit seiner samtigen, sanften Stimme. »Du, Cornel, weißt du, was ich gehört habe? Das Heim von unserem Fräulein, das wird einstürzen – weil da so viele Löcher sind …«
    Â»Ein schlechter Witz, und noch dazu uralt«, protestierte ich und zog empört die Schultern hoch.
    Â»Nicht böse sein«, raunte mir der Dunkelhaarige zu und streckte seine Hand nach meiner aus, die zwischen Brotkrumen und schmutzigen Tellern liegen geblieben war.
    Ich betrachtete sie, wie sie da lag, mir selber fremd, und ließ es zu, dass die andere sich, heiß und etwas feucht, darauf legte. Das Restaurant brodelte, an der leeren Tanzfläche probierte das Orchester kratzend die ersten Akkorde, immer wieder dieselben. Mit einem Ruck zog ich meine Hand unter der seinen weg und stand auf, wobei ich zwinkernd meine Furcht vor dem langen Weg zwischen den Tischen zu verheimlichen versuchte.
    Â»Bleibst du nicht zum Tanz? Es geht jetzt los«, rief der Brünette und filterte seinen Blick durch die langen Wimpern. Er hatte einen schmachtenden, leicht altmodischen Gesichtsausdruck, der ihm, so dachte ich mir, wohl aus den Jahren einer sentimentalen Jugend geblieben war.
    Â»Ich komme wieder …« An der Ecke des langen Tisches blieb ich stehen. Sie sahen mich nicht, ich stand hinter dem Pfeiler, der den Salon teilte. Mir war plötzlich eingefallen, dass Petru den Schlüssel mitgenommen hatte, aber ich wollte lieber hier auf ihn warten, ich hatte überhaupt keine Lust, an den Tisch zurückzukehren, und beobachtete die beiden verstohlen. Sie redeten laut, so dass ich sie mühelos hören konnte. Sie redeten über Petru. Der Blonde knickte immer wieder einen Zahnstocher auf dem weißleinenen Tischtuch.
    Â»Was tust du hier?« Erschrocken fuhr ich zusammen. Ich hatte nur darauf geachtet, was sie über ihn redeten, und nicht mehr auf die Tür, aus der ich ihn erwartete.
    Â»Ich möchte hinaufgehen«, flüsterte ich und sah ihn mit unsicher fragenden Augen an.
    Â»Wieso tust du’s dann nicht? Ach so, der Schlüssel … Den habe ich nicht, der ist an der Rezeption. Zur Halbzeit des Spiels komme ich auch, wart auf mich.«
    Ich sah, wie die drei ihre Zigaretten und ihre Wodkagläser nahmen und zu den langen schwarzen Sitzbänken im blauen Halbdunkel vor dem Fernseher gingen.
    *
    Ich verließ den Aufzug, lange weiße Gänge, Kugellampen wie an einer Schnur unter der niedrigen Decke, gedämpfte Schritte. Durch die offene Balkontür das Rieseln des Regens draußen. In den Fensterrahmen gekauert, schlang ich meine Arme, die ich als lang und dünn empfand, um meine schweren Knie und ließ den Kopf darauf sinken. Wieso tat es weh, wenn ich mir ihre Worte über Petru in Erinnerung rief, die ich kurz zuvor gehört hatte und die ich mir jetzt aus Bruchstücken zusammenreimte? Ständig, und mit stetem Unbehagen, stellte ich mir sein eilfertiges, zustimmendes und unterwürfiges Lächeln dem Professor gegenüber vor. Seine Arbeiten, die ich im Frühjahr mit Begeisterung gelesen hatte, wurden von den beiden

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