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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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ich freute mich, dass ich wieder gesund geworden war, von selbst, ohne Arzneimittel. Doch das war ich gar nicht, und als die Mädchen in der Pause zur Sandgrube gingen, um Völkerball zu spielen, blieb ich am Zaun. Wenn ein Arzt oder eine Schwester in die Klasse trat, begannen meine Wangen zu brennen und meine Ohren zu klingen. Ich rang die feuchten Hände unter der Bank, versuchte das Zittern einzustellen, das mich packte, und starrte mit krampfhaft gleichgültigem Blick zum Fenster hinaus, während meine Mundwinkel gegen meinen Willen bebten.
    Irgendwann schien auch Mutter etwas zu bemerken, denn als wir zu dritt an den Fluss gingen, gab sie mir einen kleinen Büstenhalter, der mal nach der einen, mal nach der anderen Seite verrutschte. Ich saß am Ufer und wagte mich nicht zu rühren. In der glühenden Sonne schmorten die Schnecken, ihre silbrigen Schleimspuren waren zu einer durchscheinenden Kruste erstarrt, die knisternd zersprang, wenn ich sie berührte. Ich saß trotzend auf dem mit seidig glänzenden Kieseln übersäten Sand, der jedes Frühjahr vom Fluss überspült wurde, und presste die Schenkel fest zusammen.
    Â»Geh doch auch ins Wasser, wieso sitzt du wie eine Glucke hier herum«, rief Onkel Ion. Er hatte sein kriegsversehrtes Bein in der Sonne ausgestreckt, eine bläuliche Narbe zog sich breit bis zum Knie hinauf. Wenn er sich zu sehr anstrengte, sprang sie auf und heilte monatelang nicht zu. Jetzt betrachtete er aufmerksam die Wunde und beugte dabei die käseweißen, fleischigen Schultern mit großen Sommersprossen und Muttermalen. Aus dem einen wuchsen dünne schwarze Haare. Mutter lag mit geschlossenen Augen daneben, den Kopf auf einem Handtuch, kleine Fliegen oder Mücken krabbelten auf ihr herum, ich sah sie nicht, sondern hörte nur das Klatschen ihrer Hand. Der Büstenhalter presste ihre weichen Brüste zusammen, deren Haut am Ansatz leicht verrunzelt war, und im Fleisch der Schenkel zeichneten sich zwei schräge Falten ab.
    Vielleicht hatte ich sie noch nie so unbekleidet gesehen, jedenfalls scheute ich mich, hinzuschauen. Der Kopf brummte mir vom Rauschen des Flusses, das Licht und das grauweiße Glitzern des Wassers machten mich schwindlig. Ich hörte die Rufe der Kinder und sah, wie sie herumtollten und sich bespritzten, alle einander ähnlich mit ihren nackten Leibern und bunten Höschen. Nur ich war plötzlich beschämend unähnlich.
    Â»Lass mich in Ruhe!«, rief ich zu Onkel Ion hinüber. »Lass mich in Ruhe …«
    Ich verzog mich ins Pappelwäldchen. Der Wind rauschte in den rastlosen harten Blättern, es roch nach Holunderblüten und nach Wasser. Ich kniete an einem dicken Baum mit rauer, weiß verstaubter Borke nieder, kratzte vertrocknete Flechten ab und wollte nichts als nach Hause.
    *
    Â»Du brauchst nicht so zu erschrecken«, sagte Mutter zu mir.
    Wir waren beide in der Sommerküche, die Gaslampe flackerte, bis hierher hatten sie den elektrischen Strom noch nicht gezogen. Ihr Gesicht konnte ich nicht sehen, nur ihre Hände, wie sie flink mit den Töpfen hantierten. Unsere unscharfen Schatten schwankten an den Wänden und knickten an der Decke merkwürdig im rechten Winkel ab.
    Â»Es ist nichts passiert, du bist nur gewachsen und hast deshalb deine Tage etwas früher gekriegt … Von jetzt an musst du besser aufpassen, dich öfter waschen, du bist jetzt kein …«
    Â»Ich will keine Frau werden wie ihr!«, schrie ich, als mir plötzlich aufging, was sie sagen wollte. Ich hasste ihr Fleisch, das ich förmlich sah, wie es unter ihren Röcken herabhing, die schweren Brüste, die dicken Bäuche und die breiten Hüften und den Stift, mit dem sie ihre Lippen anmalten, und das Puder, ohne das sie nicht aus dem Haus gingen, und das ganze Geschwätz über Kinder oder Kochen.
    Â»Ich will keine Frau werden wie ihr!«, schrie ich. Ich bebte vor Ohnmacht und Wut. Ich knallte die Tür und versteckte mich unterm Flieder, um zu weinen, doch Mutter wusste, dass ich dort war, ich konnte nirgendwo sonst sein. Mutter hatte den Hof gesprengt, und die Kühle drang bis zu mir, ebenso das Licht von der Veranda, so dass ich mit Blättern zu spielen begann, die für mich Menschen waren.
    Dann rief mich Cornelia an den Zaun, und ich ging mit hinaus, alle Kinder hockten dort auf der Straße und schlugen Steine aneinander, damit Funken stoben, die

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