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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Mädchen kicherten. Ich neigte mich über das Kanalgitter, durch das ein übler Geruch aufstieg; in der Tiefe hörte man es gurgeln, einige sagten, dort unten sei eine Schlange.
    Â»Ach was, Schlange, pass mal auf, wie tief unten das Wasser ist«, sagte Fane. Er lehnte sich über meine Schultern und warf einen Stein hinab. Es dauerte eine ganze Weile, bis man ein Platschen hörte.
    Â»LetiÅ£ia!« Der Stimme nach war Onkel Ion böse, vielleicht hatte er schon mehrmals gerufen, aber ich antwortete auch jetzt nicht, ich hatte keine Lust, schlafen zu gehen. Wir schubsten uns abwechselnd weg, weil jeder den nächsten Stein werfen wollte, da packte mich der Onkel bei der Hand und zerrte mich in den Hof.
    Â»Hast du jetzt schon damit angefangen?«, brüllte er. Sein Gesicht war schwarz vor Wut oder vor Dunkelheit, aber nicht darüber erschrak ich, sondern über die Stimme, mit der er mich anschrie. Und plötzlich fegte der Himmel über die Häuser, blinkten die Sterne auf, ich verstand weder, was er sagte, noch, warum er mich geschlagen hatte, doch ich hasste ihn und weinte am Fuß des Bettes, eine Wange brannte ärger als die andere.
    Â»Ich hätte nicht gedacht, dass dieses Mädel so eine wird«, hörte ich ihn eines Abends sagen. Ich war früher ins Bett gegangen als sonst, und die beiden tuschelten am Tisch. In der Stimme des Onkels lag eine seltsame Bitterkeit und Enttäuschung. »Ich hätte nicht gedacht, dass sie so hinter den Jungs her ist.«
    Ich schrak auf, als hätte er mich wieder geschlagen. Mutter antwortete nicht, und ich schloss daraus, dass sie denselben Eindruck hatte. Ich spannte die Muskeln an, damit sie sich nicht mehr rührten, die Scham stieg mir ins Gesicht, ein unbegreifliches Schuldgefühl, nur die aufgebrachten Wörter blieben mir im Hals stecken, und ich hielt sie wie den keuchenden Atem zurück.
    Schläfrig war ich eigentlich immer, ich legte mich ins Bett, konnte aber nicht schlafen, ich lag bloß da, den Kopf ins Kissen gedrückt. Was mir doch für schändliche Gedanken kamen … Mutter und Onkel Ion gingen auf Zehenspitzen herum, wenn sie sahen, dass meine Augen geschlossen waren, sie hatten keine Ahnung, auf derart schamloses Zeug wären sie nie gekommen, und ich fürchtete, ich könnte im Schlaf zu sprechen beginnen, denn ich hatte gelesen, dass derlei vorkommt, wenn man etwas vor anderen verheimlichen will. Ich presste meine kalten Hände an die glühenden Wangen, ein Nachtfalter flatterte um den Lüster, immer schneller, es pochte, wenn seine Flügel an die Glühbirne schlugen, und plötzlich fiel er auf das Kissen neben mir. Eines Nachts träumte ich, dass ich Stufe für Stufe die Schultreppe hinunterging, während mir ein Junge entgegenkam, ich wusste nicht, ob ich ihn kannte, als er jedoch bei mir war, presste er seine Wange an meine. Ich erwachte mit einem nie gekannten Glücksgefühl. Das Licht, das durch die farbigen Butzenscheiben der Eingangstür drang, schimmerte blau und rot, ich versuchte das Glück aus dem Schlaf nicht zu vergessen, doch in der immer wärmeren Sonne ging es mir verloren, Stück für Stück.

Kapitel IV
    I n diesem Namen, mit dem sie mich riefen, erkannte ich mich ebenso wenig, wie ich mich in meinem Körper erkannte. »Wie die nur dazu kommen, mich so zu nennen«, sagte ich mir und zuckte zusammen, wenn ich mich in dem halbblinden Spiegel in der Küche erblickte. Der Dunst, von dem er ständig beschlagen war, hatte an seinen Rändern welke Ranken geätzt, doch sein ungewisser Widerschein reichte aus, um mir mein bis zum Überdruss bekanntes Gesicht entgegenzuhalten, und ich wandte mich verstimmt ab.
    Ãœber die gesamte Dauer des Films haftete, solange ich weinte, wobei ich die Tränen schön langsam über die Wangen rinnen ließ, das Gesicht der Schauspielerin auf meinem, und ich behielt es auch, wenn die Lichter angingen. Die Platzanweiserin zog die verstaubten, ausgebleichten Vorhänge zu, und zum Klirren der Ringe gesellten sich Getrampel, Schnäuzen und von dem langen Schweigen heisere Stimmen. Während wir über den Zementboden des Hinterausgangs zwischen Stapeln leerer Fässer und mit Bettlaken vollgehängten Wäscheleinen hinausdrängten, trug ich den Blick und den Körper der Schauspielerin in mir. Immer schon hatte ich lächeln können wie sie, wie ich jetzt mit nachdenklichem

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