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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Triumph herausfand, und ich ließ meinen Blick, ohne etwas zu sehen, über einen mit grünen Brettern eingefassten Brunnen gleiten, der in einem einsamen Hof vor sich hin plätscherte. Tief in den verschlissenen Taschen des Mantels vergraben, strichen meine zartgliedrigen langen Hände mit schweren Armbändern um die Gelenke in einem endlosen, in langer Einstellung gefilmten Kuss über die Schultern des Jacketts, seines Jacketts.
    Â»Mach schon, deck den Tisch, du hast dich genug herumgetrieben«, herrschte mich Mutter mit vorwurfsvoll verzogenem Mund an.
    Als ich mich zu der Schublade hinabbeugte, wusste ich um meine makellosen langen Beine, um die hochhackigen Schuhe auf der Leinwand, aber ich stieß hart gegen eine Ecke des Tisches, so dass er wackelte.
    Â»Das Klötzchen unter dem Tischbein ist weggerutscht«, sagte Mutter. »Schieb es zurück, verdammt, hier geht alles zu Bruch …«
    Zornig fasste ich mir an das verletzte Knie, das dabei zum Vorschein kam, die starken Knochen wölbten sich unter der runzligen Haut, die Schenkel sahen schwer und geschwollen aus.
    Â»Nicht das Alltagsbesteck«, sagte Mutter, »hol das Tischtuch mit dem Fliedermuster aus dem Haus, dein Onkel ist mit Anhang gekommen …«
    Ich beobachtete sie verstohlen, ohne etwas zu sagen, und hatte den Verdacht, dass sie sich bei allem Ärger freute. Sie war ungewöhnlich lebhaft, knallte die Türen, redete in einem fort, und ich nickte nur, während ich die abgenutzten Besteckböden aus der Anrichte im Vorzimmer holte.
    Â»Wir verhungern, und bei euch, da tut sich nichts«, rief Onkel Ion. Vorsichtig senkte er den Kopf, um nicht gegen den Türstock zur Küche zu stoßen.
    Â»Er übertreibt«, sagte der Herr Emil aus dem Hintergrund begütigend, unschlüssig, ob er eintreten sollte. »Das stimmt nicht, ganz und gar nicht.« Dann sah er mich und hatte es plötzlich eilig, seine krummen Knie stießen gegen die dicht um den Tisch gedrängten Stühle.
    Â»Küss die Hand«, sagte er. Sein Anzug, der schon bessere Zeiten gesehen hatte, schlotterte ihm um den Leib, als er sich verneigte.
    Â»Ich habe Sie nicht gesehen, als ich kam, es hieß, Sie seien spazieren gegangen.«
    Â»Ich war im Kino.«
    Während ich meinen Platz an der Wand einnahm, schielte ich zu ihm hinüber. In seiner Stimme meinte ich eine alte Ironie wahrzunehmen, die er bewahrt oder allzu viele Jahre vergessen haben mochte. Ich aß mit gesenktem Blick und betrachtete dabei meine kurzen weichen Finger und die von der Nagelblüte gefleckten Fingernägel. Ich kam mir immer näher, mit jedem Augenblick, aber die Traurigkeit des Films hatte Bestand, setzte sich klar von den kauenden Kiefern ab und drängte ihre Gesichter dermaßen zusammen, dass ich gar nichts mehr wahrnahm …
    Wie die bloß dazu kommen, mich so zu taufen, sagte ich mir wieder, als wir alle ins Schlafzimmer hinüberwechselten und nur Mutter in der Küche blieb, um das Geschirr zu spülen. Die Spieluhr im starren Deckel des alten Albums klimperte, wenn ich daran rührte, zart eine lustige Melodie. Von Großmutter LetiÅ£ia gab es darin nur ein einziges Foto, aus dem funkelnden Rahmen mit berankten Ecken lächelte sie vom Stuhl des Fotografen ergeben wie immer, mit schlaffen Wangen und beschämend traurigen Augen.
    Â»Irgendwie ähnelt sie Ihnen, nicht wahr?«, fragte mich der Herr Emil, und wieder vermutete ich ironischen Abstand in seinem werbenden Lächeln. »Der Gesichtsausdruck, die Augen … Auch die Wahl des Namens erscheint mir durchaus geglückt …«
    Â»Mir nicht«, gab ich trocken zurück und blätterte schnell um.
    So viele Leben ihm auch gegeben sein mochten, nie würde er merken, wie sehr er mir auf die Nerven ging mit seiner Beharrlichkeit: Bei allem, was um ihn war, sah er nur sich. Natürlich war das der Grund, weshalb ich ihn so langweilig fand, aber dachte ich denn an jemand anderen als an mich selbst?
    *
    Wieso sprachen Mutter und Onkel Ion kaum über Großmutter LetiÅ£ia? Vielleicht hatten sie sie nicht mehr gut in Erinnerung. Aber Tante Zoica hatte mir von ihr erzählt, als sie eines Vormittags bei uns vorbeikam und ich allein zu Hause war. Steif saß sie auf dem Stuhl, die weiche Brust ergoss sich über den von vielen Knöpfchen und Schlaufen zusammengehaltenen Rock wie auf Fotografien aus der Zeit vor dem

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