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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Tischchen betrachten konnte.
    Â»Komm rein«, rief Jeni von der Tür her. »Na, was meinst du?«
    Die Schneiderin kniete mit Stecknadeln im Mund vor ihr und steckte den Saum ab.
    Â»Lass es kürzer machen«, sagte ich.
    Â»Ich mag es nicht so kurz wie du. Wenn du dich bückst, kann man alles sehen«, sagte Jeni.
    Mit verkniffenen Augen und gespitzten Lippen betrachtete sie sich im Spiegel, diesen Gesichtsausdruck hatte sie nur, wenn sie sich im Spiegel betrachtete, wahrscheinlich versuchte sie so zu sein, wie sie es gern gehabt hätte, dann vergaß sie es aber wieder.
    Â»Deine Sache«, gab ich zurück.
    Jeni hat dicke Beine, deshalb trägt sie nicht gern kurz, dachte ich zufrieden; und nach einer Weile fragte ich: »Bleiben wir noch lange? Ich muss gehen, Onkel Biţă könnte heute Abend aus Bukarest kommen …«
    *
    Â»Was schwatzt ihr denn dauernd, ihr Mädchen? Hausaufgaben habt ihr wohl keine, Prüfungen auch nicht … Das Abitur steht vor den Tür«, sagte Onkel Ion, als er aus dem Schlafzimmer an den Tisch unter dem Birnbaum kam, die dampfende Kaffeekanne in der einen und einen Stapel Notizzettel in der anderen Hand. Vielleicht ahnte er, dass ich über Mihai gesprochen hatte. Jeni errötete.
    Â»Bleib sitzen, geh bloß nicht«, raunte ich ihr zu und beobachtete feindselig den leicht zur Erde gebeugten Gang des Onkels. In diesen Augenblicken mochte ich Jeni ganz besonders.
    Am allermeisten mochte ich sie eigentlich, wenn ich mich mit Mihai traf und wusste, dass ich danach schnell zu ihr laufen würde, um ihr davon zu erzählen. Wir gingen zusammen in den Gemüsegarten, von hier sah man über den verkrüppelten Pflaumenbäumen die ersten Wohnblocks im Rohbau. Warm roch es nach Unkraut und aufgeheizter Erde und nach dem Klo aus grauen Brettern hinter dem Maschendrahtzaun. Ich versuchte nicht hinzusehen, nahm kleine Klumpen trockene Erde in die Hand, die ich beim Reden mit den Fingern knetete, bis die Hände schmutzig waren, dann wischte ich sie mit Tomatenblättern ab. Wenn ich die Blätter zerdrückte, kam eine seltsame Freude in mir auf. Dann schwieg ich und versuchte mich zu erinnern, das war sehr schwer, als wäre die Erinnerung vom Schlaf umnebelt, schließlich wusste ich, so säuerlich hatte der schattig kühle Morgen des ersten Herbsttages gerochen, als ich zur Hochzeit einer Puppe eine Speise aus grünen Tomaten gekocht hatte.
    Â»Weißt du, ich glaube, es gibt gar keine Liebe …«
    Jeni hörte mir mit hochgezogenen Brauen zu und wusste nichts zu antworten. Damit ich das Bretterklo nicht zu sehen brauchte, betrachtete ich angestrengt den Pflaumenbaum, der seine rostfleckigen Blätter abwarf. Ich war sehr traurig, es war bald zwei Monate her, seit ich mich von Mihai getrennt hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, da war ich überzeugt, dass ich mit ihm nie würde Schluss machen können, und später wunderte ich mich, dass ich jemals so etwas hatte denken können.
    Es fiel mir immer schwer, mich von Jeni zu verabschieden, ich redete in einem fort, auf dem Heimweg und dann vor dem Tor, wo wir jede an einem Pfosten lehnten. Wenn ich mit dem Erzählen durch war, überkam mich ein unangenehmes Gefühl, nicht weil es zu Ende war, nur war mir etwas entglitten, ich hatte ihr nicht alles gesagt und wollte von vorn anfangen, dabei wiederholte ich mich wohl, denn Jeni sagte: »Ja, das weiß ich, du hast es mir schon gesagt, er hat gesagt, so geht es nicht weiter …«
    Dann tat es mir leid, dass ich nichts mehr zu erzählen hatte und die Worte ähnlich klangen wie in den Filmen, die ich gesehen hatte. Wir begannen den Mast mit dem Halteschild zu umkreisen, hier hielt der Bus, mit dem Onkel Ion aus der Schule kam.
    Â»Wir machen nur noch eine Runde, ich muss gehen«, sagte Jeni, und manchmal, wenn ich ganz und gar nicht ohne sie zurechtkam, begleitete ich sie langsam nach Hause.
    *
    Â»Schau mal, so geht es nicht weiter«, sagte Mihai damals, das Reden fiel ihm sehr schwer, anders als sonst. »Wenn du nicht wärst, wie du bist, wäre auch ich anders …«
    Wir standen unter einem Maulbeerbaum, und ich zertrat die überreifen schwarzen Beeren, die vom Baum gefallen waren. Hin und wieder streckte ich die Hand aus, kriegte aber nur selten eine noch rote zu fassen, die mir den Mund zusammenzog. Ich aß sie mitsamt Stiel, sie knackte zwischen den Zähnen,

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