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Der gleiche Weg an jedem Tag

Der gleiche Weg an jedem Tag

Titel: Der gleiche Weg an jedem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriela Adamesteanu
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Hausaufgabe aufsagen würde, so gut kannte ich es, dass ich alles gegeben hätte, aufstehen und aus der Klasse laufen zu können. Das ging aber nicht, und jeden Morgen kam ich zurück auf dieselbe Schulbank, in die ich meinen und Mihais Namen eingeritzt hatte und das Datum unserer Trennung, 17. Mai. Wenn ich durch die Tür trat, war Jeni als Einzige schon da.
    Â»Was machst du denn?«, fragte sie. »Wieso bist du gestern Abend nicht mehr vorbeigekommen?«
    Bis dahin hatte ich noch die Hoffnung auf etwas Angenehmes gehabt, wie etwa den morgendlichen Schulweg vergangener Zeiten, als wir mit dem Erzählen nicht fertig wurden, bis der Lehrer in die Klasse kam, jetzt aber reckte sich nur noch Jenis Arm fordernd in die Höhe. Die kann echt nicht genug kriegen von ihrer Wichtigtuerei, sagte ich mir und zählte dann im Kalender die Tage bis zur Aufnahmeprüfung.
    Nicht nur von ihr wusste ich alles, sondern auch von mir, ich war mir von vornherein sicher, was ich sagen und tun würde, wenn ich zu Jeni ging. Ich wartete in ihrer großen Sommerküche, die im Winter Jenis Zimmer war, mit Flickenteppichen auf dem Fußboden und einer vor lauter verchromten Rohren blitzenden Küchenmaschine, und aß das Kompott, das mir ihre Mutter brachte.
    Â»Komm, ich zeige dir, was ich mir noch habe machen lassen«, sagte Jeni und öffnete den Kleiderschrank.
    Oder sie brachte eine schon etliche Jahre alte Zeitschrift aus dem Modeatelier, das in einem Block am Korso eröffnet hatte und wo ihr Vater als Leiter eingesetzt worden war. Wir saßen auf neuen, leichten Plastikstühlen im Garten und blätterten darin, während die Raupen, es waren sehr viele in jenem Jahr, langsam an den Metallbeinen heraufkrochen.
    Hausaufgaben machten wir immer noch gemeinsam und einigten uns auch darauf, dies oder jenes links liegen zu lassen, allerdings bekam sie manchmal einen Punkt mehr als ich. Seltsam, solange ich mit Mihai zusammen war, hatte mich das nie gestört, jetzt aber wurmte es mich auf einmal. Zwar sagte ich mir dauernd, es müsste mir egal sein, dennoch ging es mir auf die Nerven und ich merkte, wie ich mich freute, wenn Jeni im Unterricht durcheinandergeriet und ich ihr beisprang, um die Schadenfreude erst recht auszukosten.
    Jetzt hätte ich ihr beim besten Willen nichts mehr über Mihai erzählen können, sie war mit ihrer Geschichte mit Mircea durch und organisierte dauernd irgendwelche Pionierversammlungen. Plötzlich merkte ich, dass ich seit fast drei Jahren mit niemandem gesprochen hatte, der mir etwas bedeutete, außer mit ihr. Es war, als käme ich nach einer Krankheit oder aus dem Urlaub wieder und betrachtete alle um mich herum mit Wohlwollen und Nachsicht.
    Vielleicht ging es ihr genauso, denn sie steckte die meiste Zeit mit CrăiÅ£a zusammen. Und nach dem Abitur beschlossen sie, ein paar Tage ans Meer zu fahren. Immerhin kam Jeni an dem Morgen vor der Abfahrt zu mir.
    Â»Es ist noch ein Platz im Auto«, sagte sie im Gehen von der Tür her. »Willst du nicht mitkommen?«
    Natürlich war nun keine Zeit mehr, um Mutter und Onkel Ion zu überzeugen und auch noch zu packen. Das wusste sie nur zu gut, sie hätte sich die Frage auch sparen können.
    Â»Ich glaube, es hat gar keinen Sinn zu fragen«, antwortete ich, wobei ich über ihre Schulter hinweg durch die offene Tür in den Hof sah. »Sie sind auch gerade knapp bei Kasse …«
    Â»Ich bitte dich«, lachte sie, »wieso sollten die knapp bei Kasse sein, bei zwei Gehältern … Ich habe nie begriffen, wie ihr so wohnen könnt bei dem Gezänk mit dem Vermieter, wieso ihr nicht ein Haus baut wie wir, wo doch nur mein Vater Gehalt kriegt …«
    Â»Du begreifst so manches nicht«, schrie ich sie an, »aber ihr kriegt ja immer alles hin …«
    Ich habe ihr auch sonst noch einiges gesagt, und sie mir dann auch. Ich begann zu zittern vor Erregung, mich fror, und dann habe ich ihr das letzte Buch zurückgegeben, das sie mir geliehen hatte, und sie ist nach Hause gegangen.
    *
    Â»Seltsam«, sagte Mihai, als wir im Herbst vor der Aufnahmeprüfung auf der Hafenmauer spazieren gingen. In keinem anderen Jahr hat es einen so langen Herbst gegeben, jeden Abend war Nebel und Rauch im Hafen, wo er mich erwartete.
    Â»Seltsam, Jeni hat dich immer kopiert, ihr wart unzertrennlich, wahrscheinlich weil du es bequem fandest – als wärst du mit dir

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